Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
von jemandem ein, der einen Aufschrei erwartete, aber bereit war, auch damit fertig zu werden. Als keiner etwas sagte oder auch nur mit dem Fuß scharrte, sah er enttäuscht drein. Aber er hatte eine Aufgabe zu erledigen, und die Nacht war nicht mehr jung. Er straffte die Schultern und fuhr energisch fort.
»Ich werde nicht die nächsten drei oder vier Monate abwarten, wer von euch wen getötet hat. Nay! Und ich werde mich auch nicht in eine Lage bringen lassen, wo ich der Leidtragende eures dummen Streits wegen dieses Schwachkopfs Sheemie sein werde.
Ich appelliere an euren Sinn für Vernunft, Jungs, wenn ich darauf hinweise, dass ich während eures Aufenthalts hier entweder euer Freund oder euer Feind sein kann… Aber es wäre falsch, wenn ich nicht gleichzeitig an eure edleren Charakterzüge appellieren würde, die zweifellos beträchtlich und feinfühlig sind.«
Der Sheriff versuchte es nun mit einem exaltierten Ausdruck, den Roland nicht für besonders gelungen hielt. Avery wandte Jonas seine Aufmerksamkeit zu.
»Sai, ich kann nicht glauben, dass Ihr drei jungen Männern des Bundes Ärger machen wollt – des Bundes, der seit fünfzig Generationen wie die Muttermilch und die schützende Hand eines Vaters für uns ist; so unhöflich wollt Ihr doch nicht sein, oder?«
Jonas schüttelte den Kopf und lächelte sein dünnes Lächeln.
Avery nickte wieder. Bis jetzt lief alles gut, besagte dieses Nicken. »Ihr habt alle eure eigenen Kuchen zu backen und eure eigenen Suppen zu kochen, und niemand möchte, dass diese Sache euch daran hindert, euren Aufgaben nachzugehen, oder?«
Diesmal schüttelten alle den Kopf.
»Ich möchte also, dass ihr aufsteht, euch ins Gesicht seht, euch die Hand schüttelt und einander Verzeihung erfleht. Wenn ihr das nicht tut, könnt ihr, soweit es mich betrifft, bei Sonnenaufgang alle nach Westen aus der Stadt reiten.«
Er griff nach dem Becher und nahm diesmal einen größeren Schluck. Roland sah, dass die Hand des Mannes leicht zitterte, was ihn aber nicht überraschte. Natürlich war alles nur Schall und Rauch. Dem Sheriff musste schon klar gewesen sein, dass Jonas, Reynolds und Depape außerhalb seiner Autorität standen, sobald er die kleinen blauen Särge auf ihren Händen zum ersten Mal gesehen hatte; und heute Nacht musste er denselben Eindruck haben, was Dearborn, Stockworth und Heath betraf. Er konnte nur hoffen, dass alle einsahen, wo ihre Hauptinteressen lagen. Roland sah es ein. Jonas offenbar auch, weil er sich jetzt nämlich gleichzeitig mit Roland erhob.
Avery lehnte sich etwas zurück, so als würde er damit rechnen, dass Jonas nach seinem Revolver und Dearborn nach dem Messer im Gürtel greifen würde – dem Messer, das er Jonas auch an den Rücken gehalten hatte, als Avery in den Saloon geschnauft gekommen war.
Aber es wurde weder ein Revolver noch ein Messer gezogen. Jonas drehte sich zu Roland um und streckte die Hand aus.
»Er hat Recht, Kamerad«, sagte Jonas mit seiner quäkenden, bebenden Stimme.
»Ja.«
»Wirst du einem alten Mann die Hand schütteln und geloben, noch einmal von vorn anzufangen?«
»Ja.« Roland streckte die Hand aus.
Jonas nahm sie. »Ich erflehe deine Verzeihung.«
»Ich erflehe die Ihre, Mr. Jonas.« Roland klopfte sich mit der linken Hand gegen die Kehle, wie es angemessen war, wenn man einen Älteren auf diese Weise ansprach.
Als die beiden sich setzten, standen Alain und Reynolds auf, als hätten sie es einstudiert. Als Letzte erhoben sich Cuthbert und Depape. Roland war davon überzeugt, dass gleich Cuthberts Albernheit hervorgeschnellt kommen würde wie ein Springteufelchen – der Idiot würde einfach nicht anders können, obwohl ihm klar sein musste, dass Depape kein Mann war, der die heutige Nacht vergeben und vergessen würde.
»Erflehe Ihre Verzeihung«, sagte Bert mit einem bewundernswerten Mangel an unterdrücktem Gelächter in der Stimme.
»Erflehe die deine«, murmelte Depape und streckte die blutende Hand aus. Roland sah in einer albtraumhaften Vision, wie Bert sie drückte, so fest er konnte, damit der Rothaarige wie eine Eule auf der heißen Herdplatte aufschrie, aber Berts Händedruck war so zurückhaltend wie seine Stimme.
Avery saß am Bühnenrand, ließ die plumpen Beine baumeln und verfolgte alles mit onkelhafter Heiterkeit. Sogar Hilfssheriff Dave lächelte.
»Ich schätze, jetzt werde auch ich allen Anwesenden die Hand schütteln und euch dann eurer Wege schicken, ist es doch schon spät, das ist es,
Weitere Kostenlose Bücher