Der Earl und sein verführerischer Engel (Historical) (German Edition)
unterdrückte einen Schmerzensschrei.
Als sie es wagte, sich in die Hocke aufzurichten, war der Mann verschwunden. Wieder rief Royce nach ihr, und mühsam stand Emily auf. Sie haben uns gefunden, dachte sie verzweifelt. Daniels Feinde, möglicherweise sogar der Mann, der ihn getötet hatte.
Sie raffte die Röcke und seufzte, als ihr Blick auf die niedergetrampelten Kräuter fiel. Warum wollte der Fremde die Geschäftspapiere ihres Bruders? Seine Forderung ergab keinen Sinn. Daniels Investitionen hatten sich stets als wirtschaftliche Fehlentscheidungen erwiesen.
Doch in Falkirk House waren sie nicht mehr sicher. Sie durfte nicht zulassen, dass Royce oder Victoria in die Fänge von Daniels Feinden gerieten. Eher würde sie mit den Kindern nach Amerika oder in den Orient fliehen.
Nein, nach London. Sie würde die Kinder nehmen und nach London gehen, wo der Earl sie alle beschützen konnte. Der Gedanke erleichterte sie ebenso sehr, wie er sie in Unruhe versetzte. Sie hasste es, sich auf jemand anderen als sich selbst verlassen zu müssen. Doch in Whitmores Nähe drohte ihnen weit weniger Gefahr.
Ihr gepeinigtes Herz schien protestieren zu wollen, als sie sich vorstellte, wieder bei Stephen zu sein. All seine Versprechungen hatten sich als Lügen entpuppt, und nun sah sie sich in einer Ehe gefangen, die besser niemals geschlossen worden wäre.
Weit mehr allerdings beunruhigte sie ihre Reaktion auf seine Berührung. Obwohl er sie nur umarmt hatte, waren Erinnerungen in ihr wach geworden, die zu vergessen sie unendliche Anstrengung kostete. Prickelnde Schauer durchströmten sie jetzt noch bei dem bloßen Gedanken daran, wie er die Knöpfe ihres Kleides gelöst und die nackte Haut ihres Nackens gestreichelt hatte.
Nein. Nie wieder. Noch in ihrer Hochzeitsnacht hatte sie ihre Lektion gelernt, und eine solche Kränkung würde ihr nicht ein weiteres Mal widerfahren. Es würde ein Leichtes sein, jeglicher Versuchung zu widerstehen, wenn sie die Augen schloss und an all die furchtbaren Dinge dachte, die sie seinetwegen erlitten hatte.
Als sie sich die bevorstehende mehrtägige Reise in der Kutsche ausmalte, biss sie die Zähne zusammen. Royce würde die Fahrt für ein großes Abenteuer halten, während Victoria sicher die ganze Zeit weinen würde. Natürlich konnte man auch mit dem Zug nach London reisen, aber das neue Verkehrsmittel war nichts für sie. Allein der Gedanke an die hohe Geschwindigkeit machte ihr viel zu viel Angst.
Als sie ins Haus kam, fand sie Royce im Foyer vor. Der Junge kauerte auf dem Läufer und blätterte mit geschürzten Lippen in dem Märchenbuch, das er von zu Hause mitgebracht hatte. Als er sie sah, ging ein Strahlen über sein Gesicht. „Da bist du ja. Liest du mir vor, Tante Emily?“
Obwohl sie seinem Wunsch liebend gern nachgekommen wäre, schüttelte sie den Kopf. „Jetzt nicht. Ich muss dir etwas Wichtiges erzählen. Wir fahren nach London.“
„Um Papa zu finden?“
Sie wusste, dass es Zeit war, Royce die Wahrheit zu sagen. Warum musste ausgerechnet sie diejenige sein, die ihm mitteilte, dass auch sein Vater gestorben war? Schweren Herzens kniete sie sich neben ihren Neffen.
Royce beäugte sie misstrauisch. „Gehst du weg?“
„Nein. Ich muss dir etwas anderes sagen.“ Sie stockte und suchte nach den richtigen Worten. „Royce, dein Vater kommt nicht mehr zurück.“ Sie nahm die Hand des Jungen in ihre.
Royce schüttelte heftig den Kopf. „Doch. Papa hat es mir versprochen, und er hält immer, was er verspricht.“
„Dieses eine Versprechen kann er nicht halten, Royce“, entgegnete sie tieftraurig und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. „Er ist gestorben, mein Schatz.“
Mit unbewegtem Gesicht sah Royce sie an. „Nein. Du lügst“, sagte er schließlich und entzog ihr seine Hände, um einen Zinnsoldaten aufzuheben, der auf den geflochtenen Läufer gefallen war. Er ahmte einen Schuss nach und tat so, als habe der Soldat einen Feind niedergestreckt.
„Es ist wahr.“ Sie wollte ihn in den Arm nehmen, aber er zuckte zurück.
„Nein. Ich weiß, dass er kommt. Er hat es versprochen.“
Verzweifelt senkte Emily den Kopf, während Royce mit dem Soldaten spielte und so tat, als habe sie gar nichts gesagt. Endlich sah sie auf und drückte sacht seine Schulter. „Wir fahren morgen früh. Pack alles ein, was du mitnehmen willst.“
Augenblicklich änderte sich sein Verhalten. „Ich kann nicht weg. Papa weiß, dass wir hier sind. Wir warten hier auf
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