Der Eid der Heilerin
kämpfen wolle. Allerdings war es sehr spät geworden, bis er und seine zwölf Auserwählten - unter ihnen auch George, der so betrunken war, dass er in einer Sänfte herbeigebracht werden musste - in der Zeltstadt beim Turnierplatz eingetroffen waren. Und der König hatte tatsächlich darauf bestanden, dass seine Ritter ihn zur Messe in die für diesen Anlass errichtete Zeltkirche begleiteten und mit ihm um Kraft und Führung für das bevorstehende Turnier beteten.
Edward war kein besonders religiöser Mann, sondern in Glaubensdingen eher pragmatisch veranlagt. Die oft nicht sehr christlichen Entscheidungen, die er als König zu treffen hatte, konnte er mit seinem Glauben in Einklang bringen, da er wusste, dass Gott ihn für diese Aufgabe erwählt hatte. Regieren und gleichzeitig die Gebote der Bibel beachten war keine leichte Aufgabe. Darüber hinaus musste es einige Sonderregeln für Könige geben, da sie bei ihrem Tun das Wohl vieler Menschen und nicht nur das des Einzelnen zu beachten hatten. Trotzdem ging er von Zeit zu Zeit zur Beichte, und in der vergangenen Nacht hatte er sogar flüchtig erwogen, die Wahrheit über Anne preiszugeben.
Er betrachtete sich als einen Mann der neuen Zeit, aber wenn er an Annes seltsame Geschichte dachte, überkam ihn eine gewisse Bangigkeit. Ihr Leben schien einem Lied der Troubadoure entsprungen: die Liebe zwischen einer vergessenen Prinzessin und einem König. Nein, er hatte nicht gebeichtet, aber sobald das Turnier vorbei war, wollte er das Rätsel ihrer Herkunft lösen.
Plötzlich erscholl ein Trommelwirbel und das Schmettern zahlreicher Fanfaren.
Die Königin war eingetroffen. Edward verzog das Gesicht. Es war Zeit, sich wieder in den Kriegerkönig zu verwandeln, Zeit, der Wirklichkeit ins Auge zu blicken. Unterdessen winkte die Königin der jubelnden Menge zu. Die Menschen mochten sie nicht besonders wegen ihrer habgierigen Verwandtschaft, aber sie war schön. Und sie war schwanger. Wenn sie für Edward gut genug war, war sie auch für das Volk gut genug.
Elizabeth war ebenfalls guter Stimmung, weil sie das Problem mit dem schweren, grünen Kleid gelöst hatte. Sie hatte acht Jungfern, alle mindestens Grafentöchter, zu Schleppenträgerinnen bestimmt. Sogar die Schwester des Königs, Margaret von York, war abkommandiert worden. William Hastings hatte sie bereits im Morgengrauen besänftigen müssen. Die Entscheidung der Königin hatte für einigen Aufruhr unter den Hofdamen gesorgt, denn es war allgemein bekannt, dass Margaret die Königin nicht leiden konnte. Schließlich hatte Margaret sich genötigt gesehen zuzustimmen, da sie ihren Bruder nicht mehr rechtzeitig erreichen und sich ohne seine Erlaubnis nicht verweigern konnte. Elizabeth war hochzufrieden angesichts des verblüfften Murmeins der Menschen, als diese sahen, wer ihr aufwartete.
Die Königin und Lady Margaret von England saßen also gemeinsam neben der Herzogin von Warwick und Williams Frau Catherine, die zu diesem Ereignis aus dem Norden angereist und deren Schwangerschaft noch weiter- fortgeschritten war als die der Königin. Sie erweckten den Eindruck, als wären sie alle die besten Freundinnen. In den Augen der Zuschauer sahen sie aus wie Göttinnen oder Gestalten aus dem Märchen, die aus Gründen, die nur sie allein kannten, London einen huldvollen Besuch abstatteten.
Die Damen des Hofes kannten sich mit den Turnierregeln bestens aus und sahen dem Wettkampf gespannt entgegen.
Verstohlen wurden hinter dem Rücken der Königin Geldbeträge auf mögliche Sieger gesetzt. Elizabeth, die mit den Regeln nicht weniger vertraut war, war zwischen Erregung, Stolz und Furcht hin- und hergerissen.
Am ersten Turniertag sollten ausgewählte Krieger beider Seiten gegeneinander antreten, ehe für den folgenden Tag ein Fußkampf vorgesehen war. Die nächsten Tage waren verschiedenen Kampftechniken gewidmet - Axtwerfen, Lanzenstechen, Bogenschießen, Kolbenkampf und sogar Ringkampf. Am letzten Tag sollte der große Massenkampf zwischen beiden Parteien stattfinden.
Abends würden in festlichem Rahmen die Preise verliehen und der Hofgesellschaft ein Unterhaltungsprogramm geboten werden. Und am Ende würde die Königin der Liebe dem von den Damen ihres Liebeshofes erwählten, tapfersten Ritter des Turniers eigenhändig eine Auszeichnung verleihen.
Die Menschenmenge wurde bereits unruhig, als William endlich seinen Platz auf der Tribüne einnahm und den Ehrenstab erhob. Sogleich ertönte das Schmettern der Fanfaren,
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