Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
geschickt im Bereich der Medizin gewesen, so hätte man sie wahrscheinlich nie aus den Klostermauern heraus und allein in die Felder und Wiesen gelassen.
Konstanze atmete die frische Luft tief ein und genoss die Düfte des Frühlings. Sie dachte noch mit Grauen an die ersten Jahre im Kloster, in denen es ihr fast nie erlaubt worden war, ihre Zelle, die Studierzimmer und die Kirche zu verlassen. Zwar hatte man sie nicht eingesperrt, aber es kam mehr oder weniger auf das Gleiche hinaus: Die Novizin Konstanze von Katzbach stand unter ständiger Beobachtung – und ihre Meisterinnen waren alles andere als wohlwollend. Dabei wusste Konstanze bis jetzt nicht, was sie damals falsch gemacht hatte.
Die anderen Mädchen hatten sie anfangs argwöhnisch beäugt, weil sie nicht von hohem Adel war. Unter sich protzten die Novizinnen auf ganz weltliche Weise mit den Gütern ihrer Väter und der Mitgift, die sie ins Kloster eingebracht hatten. Ihre Tracht war aus feinstem Tuch, während Konstanze nur der eher schlichte Stoff zugeteilt wurde, den auch die Laienschwestern in der Küche und im Garten trugen. Die Mädchen lachten über sie, weil sie manche Fertigkeiten nicht beherrschte, die man den hohen Fräulein schon als Kindern beigebracht hatte. Konstanze war im Haushalt eines Bauern groß geworden: Sie konnte melken, weben und einen Küchengarten betreuen. Sticken oder Laute spielen hatte sie nie gelernt.
Natürlich wusste jeder von ihren Visionen und brannte darauf, daran teilzuhaben. Besonders am Anfang hoffte man auf zukunftsweisende Offenbarungen, aber hier hatte Konstanze mehrmals versagt. Die Schwestern, vor allem die Äbtissin, deuteten die Bilder nicht so wohlgesonnen wie die Menschen in Konstanzes Heimatdorf. Eher stellte man endlose Fragen, ließ das Mädchen die Visionen immer wieder beschreiben und suchte nach möglichen Verbindungen zu höllischen Mächten.
Konstanze wurde Anmaßung vorgeworfen, und man beschuldigte sie, sich hoffärtig in den Vordergrund stellen zu wollen. Dabei wäre es ihr recht gewesen, hätte man sie einfach in Ruhe gelassen. Sie wollte diese Visionen nicht und war nicht stolz darauf, aber im Kloster stellten sie sich noch häufiger ungefragt ein als zuvor in ihrem Dorf. Kein Wunder, die endlosen Gebete, der immer gleiche Ablauf der Messen, Gesänge und Lesungen waren gähnend langweilig. Konstanzes wacher Geist schweifte dann leicht ab, und wenn er sonst nichts fand, mit dem er sich beschäftigen konnte, schlich sich schnell eine der unwillkommenen Visionen ein. Sie sah Engel, die den Chor der Nonnen verstärkten, nachdem sie sich auf einer goldenen Leiter vom Himmel herabgehangelt hatten. Zu Pfingsten beobachtete sie den Herrn Jesus segnend über die Felder gehen, gefolgt von einer Schar fröhlich tanzender Engel, und als sie zitternd vor Kälte in der ungeheizten Kirche die Christmette verfolgte, sah sie Maria und Josef – ebenso frierend – bei der Herbergssuche. Dabei wusste sie zu dieser Zeit schon lange, dass die beiden wahrscheinlich gar nicht gefroren hatten. Im Heiligen Land war es im Dezember nicht allzu kalt.
Konstanze empfand allein bei dem Gedanken an die Ehrwürdige Schwester Maria ein warmes Gefühl. Die Klosterärztin war die Einzige, die sie in den ersten Jahren nach dem Eintritt freundlich behandelt hatte. Selbst dann noch, als sie hinter ihre Schwindeleien kam.
Denn irgendwann hatte die kleine Konstanze angefangen, ihre Mitschwestern schamlos zu belügen. Sie war es einfach leid gewesen, dass man sich über ihre Erscheinungen lustig machte, weil tanzende Engel und frierende Gottesmütter so gar nicht zu den hehren Visionen der Hildegard von Bingen passten. Der Prophetissa Teutonica hatten sich schließlich wahre Wunderdinge rund um den Lauf von Sonne und Mond, die Heilkunst und die Musik erschlossen – während Konstanze bislang nichts zu Glaube und Lehre beitrug.
Eines Tages wurde ihr jedoch im Unterricht der Schwester Maria bewusst, dass sie in Bezug auf Heil- und Gewürzpflanzen über deutlich mehr Kenntnisse verfügte als die anderen Novizinnen und die meisten Nonnen. Sie verdankte das nicht Gott, sondern ihrer kräuterkundigen Großmutter – aber irgendwann ritt sie der Teufel, und sie behauptete, ein Engel habe ihr in einer Vision erzählt, dass Salbei gegen rauen Hals hülfe und Beinwell Schmerzen lindere! Zu Konstanzes Überraschung glaubten die meisten ihrer Mitschwestern jedes Wort – nur die Mutter Oberin blieb skeptisch. Schließlich enthüllte
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