Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
von Dienstboten stand, finanziert durch die Spenden adeliger Damen, die das Kloster großzügig alimentierten. Das Essen war reichlich und gut, die Kleidung kam sauber und ordentlich aus der Klosterwäscherei. Verglichen mit dem Leben ihrer Mutter und Großmutter war dies das Paradies – aber Konstanze konnte sich nicht helfen: Sie hasste jeden einzelnen Tag, den sie im Kloster verbringen musste!
Das Mädchen schalt sich dieser Gedanken, während es wilden Bärlauch entdeckte, pflückte und der Kräutersammlung beifügte. Je näher das Ablegen ihrer ewigen Gelübde rückte, desto häufiger drängte sich Konstanze der Wunsch nach Freiheit auf, die Sehnsucht danach, hinaus in die Natur zu gehen, ohne vorher eine Erlaubnis dafür einzuholen. Oder einmal, ein einziges Mal nur, eine Nacht durchzuschlafen, statt kurz nach Mitternacht zur Vigil geweckt zu werden und im Halbschlaf die immer gleichen Gebete zu sprechen! Nach Konstanzes Auffassung hatte Gott die Nacht geschaffen, um seinen Geschöpfen Ruhe zu gönnen. Sie empfand es fast als Frevel, dieses Geschenk zurückzuweisen – auch wenn es nur dazu geschah, dem Herrn zu huldigen.
Konstanze sehnte sich zudem nach dem Gespräch mit anderen Menschen – die kleine Frauengemeinschaft im Kloster war ihr nicht genug. Sie hätte sich auch gern einmal wieder mit Männern unterhalten! Dabei glaubte sie nicht, dass dieser Wunsch auf Lüsternheit basierte, wie ihr die Mutter Oberin vorwarf, wenn es ihr wirklich einmal gelang, ein paar Wortemit dem Priester zu wechseln, der auf dem Rupertsberg die Messe las.
Tatsächlich fühlte sie sich weder zu ihm noch zu ihrem Beichtvater oder einem der anderen, ihr vage bekannten Mönche hingezogen. Sie träumte nie davon, von ihnen geküsst oder umarmt zu werden. Aber sie hatte die Korrespondenz der Hildegard von Bingen mit Männern wie Bernhard von Clairvaux studiert. Sie hatte die Schriften der Ärzte und Philosophen gelesen. Konstanze sehnte sich nach Austausch. Sie hätte ihre Gedanken gern mit Menschen geteilt, deren Horizont weit über die Klostermauern von Rupertsberg hinausging. Und wenn sie manchmal auch von einem Ritter träumte, der sie anlächelte und in die Arme nahm … so waren das sicher nur kleine Versuchungen des Teufels, über die sie leicht hinwegkommen würde, wenn man sie nur ließe!
Tatsächlich gab es nur ein einziges männliches Wesen, mit dem Konstanze außerhalb des Klosters Umgang pflegte. Und hier hatte sie sich in Sachen Lüsternheit nichts vorzuwerfen. Peterchen, ihr kleiner Freund, war schließlich höchstens zehn Jahre alt. Genau wusste er das nicht, seine Eltern gehörten zum Gesinde eines Außenwerks des Klosters und konnten nicht lesen und schreiben. Die Jahre zählten sie höchstens nach der Anzahl ihrer Kinder – Peterchens Mutter brachte so ziemlich in jedem Jahr ein neues Kind zur Welt.
Peter war ihr Ältester und hatte bereits wichtige Aufgaben im Dorf: Er hütete die Schafe, deren Wolle später zwar nicht das feine Tuch für die Gewänder der Schwestern, aber doch den Grundstoff für die Kleider der Knechte und Laienschwestern lieferte. Im Winter trieb er die Tiere tagtäglich hinaus, damit sie auf den kargen Weiden eine Futterergänzung zum spärlich vorhandenen Heu fanden, und im Sommer lebte er mit ihnen draußen und wanderte von einem Weidegrund zum anderen.
Konstanze traf den Knaben und seine Herde fast jedes Mal, wenn sie zum Kräutersammeln in Wald und Flur ging,und es gefiel dem oft gelangweilten Kind, ihr dabei zu helfen. Inzwischen überraschte Peterchen sie meist schon mit einem Sträußlein Blüten und Gräser, und oft trocknete er seine Ausbeute gleich für sie in der Sonne. Als Gegenleistung pflegte Konstanze ihm kleine Köstlichkeiten aus der Klosterküche mitzubringen.
Auch an diesem Tag hatte sie ein paar Krapfen stibitzt und hielt sie in ihrem Korb für den Jungen bereit. Peterchen war eigentlich immer hungrig. Sein Vater brachte die große Familie nur mit Mühe durch und erwartete von dem kleinen Schäfer, dass er sich zumindest teilweise selbst verpflegte. Peterchen stellte denn auch pflichtschuldig Fallen für Kleingetier auf, aber in seine Schlingen verirrte sich nur selten ein Hase, und auch mit der Schleuder hätte der Junge keinen Goliath besiegt. Peterchen war ein schmächtiges Kind – und die karge Kost sowie die oft kalten Nächte, die er im Sommer mit den Tieren auf der Weide verbrachte, trugen nicht dazu bei, ihn zu stärken.
Konstanze wunderte sich, warum er
Weitere Kostenlose Bücher