Der einsame Baum - Covenant 05
Zweck führt dich her?«
Linden verkniff sich ein Schimpfwort. Sie atmete tief ein, um Beherrschung zu bewahren. »Falls du's noch nicht mitgekriegt hast«, antwortete sie, »wir haben einen Elohim an Bord. Es ist Findail. Sie haben ihn uns aus irgendeinem Grund auf den Hals geschickt, und anscheinend können wir ihn nicht wieder loswerden. Nur Covenant hat genug Macht, um sich ihn vorknöpfen zu können. Ich will versuchen, ihm zu klarem Verstand zurückzuverhelfen.«
Brinn sah Cail an, als fordere er ihn auf, für Linden zu bürgen. Dann nickte er zum Zeichen der Einwilligung knapp und öffnete die Tür. Mit wütendem Blick betrat Linden die Kabine, behielt Brinn im Auge, bis er die Tür schloß, sie mit Covenant allein ließ. Einen Moment lang zögerte sie, darum bemüht, allen Mut zusammenzunehmen. Aber Covenants eigenschaftslose Präsenz berührte sie, als lege sich eine Hand in ihren Nacken; sie zwang ihn, sich ihm zuzuwenden.
Er saß neben dem kleinen, runden Tisch auf einem steinernen Stuhl, als wäre er mit Überlegung so hingesetzt worden. Seine Beine wiesen nach vorn, die Füße waren normal abgestellt; er saß nicht in eingesunkener Stellung da; die Unterarme lagen auf seinen Schenkeln, die Hände locker, ihre Handflächen nach oben. Auf einem Tablett, das auf dem Tisch stand, sah man die Reste einer Mahlzeit. Anscheinend hatte Brinn den Zweifler eben erst gefüttert. Aber Covenant nahm keinerlei Kenntnis von derlei Vorgängen. Sein schlaffes Gesicht war der leeren Luft zugewandt, als wäre sie bloß eine andere Manifestation der Leere in seinem Innern. Linden stöhnte. Als sie ihn das erste Mal sah, hatte er die Tür seines Hauses aufgerissen wie ein Wirbelwind der Schelte, kaum gemäßigte Glut und Fieber in seinen Augen; sein Mund hatte der Unanfechtbarkeit eines Gebots geglichen. Trotz seines damaligen Erschöpfungszustands hatte er das Leben geführt, das von ihm selbst gewählt worden war, und er war ihr seltsam lauter und unüberwindlich vorgekommen. Doch nun verzerrte die hilflose Borstigkeit seiner Bartstoppeln das Typische seiner Gesichtszüge; und das Grau, das die Strähnen über seiner Stirn durchzog, sorgte dafür, daß er hinfällig wirkte. Das Fleisch seines Gesichts war so erschlafft, als habe er jede Hoffnung verloren. Seine Augen waren trocken, glanzlos wie im Tod. Er sah aus wie Lindens Vater, nachdem sein letztes Blut auf die verzogenen alten Dielen des Dachbodens geronnen war; nur waren bei Covenant noch Pulsschlag und Atmung vorhanden. Nahrung und Getränk erhielten sein Leben. Als er mit der Eindeutigkeit eines Sehers sein Sprüchlein aufsagte, hatte es den Anschein, als sei er sich Lindens bewußt – und entsetzt über das, was sie ihm anzutun gedachte. Sie würde ihn unter ihre Kontrolle bringen müssen. Wie ein Wütrich. Bereits der bloße Gedanke daran füllte ihren Mund mit dem bitteren Geschmack des Abscheus. Dennoch kannte sie kein Zögern mehr. Sie fühlte sich ringsum von Lähmung belauert. In jedem Pochen ihres Herzens war die Furcht gegenwärtig, die sie nun schon so oft ihres Willens beraubt hatte. Die Furcht vor dem, was aus ihr, wenn sie ihm half, werden konnte. Zittrig schob sie den zweiten Stuhl dicht vor Covenants Knie, setzte sich und legte ihre Hände in seine kraftlosen Fäuste, als wäre er selbst jetzt noch dazu imstande, sie vor einem Fehlschlag zu bewahren. Dann versuchte sie, ihr Inneres seinem leblosen, stieren Blick aufzuschließen.
Wieder strömte Covenants innere Finsternis in Linden über, ergoß sich durch das Bindeglied ihrer Sinne in sie. Und damit trat von neuem die Gefahr auf. Angestachelt durch Covenants matte Passivität, seine Ähnlichkeit mit einem Inbegriff der Nutzlosigkeit, erwachte tief in Lindens Innenleben abermals die alte Gier. Instinktiv kämpfte sie dagegen an, hielt in den zwielichtigen Grenzzonen von Covenants inwendiger Nacht an sich selbst fest, schwebte zwischen Bewußtheit und Vergessen. Aber sie durfte sich vom bodenlosen Abgrund von Covenants Leere nicht abschrecken lassen. Sie erkannte bereits Aspekte seines Zustands, die sie von außerhalb nicht hatte feststellen können. Zu ihrer Überraschung sah sie, daß dieselbe Macht, die seinen Geist zum Schweigen verdammte, in ihm auch das Gift unterdrückt hatte. Es war nicht mehr wirksam; Covenant war innerlich so tief versunken, daß es keinen Einfluß mehr auf ihn besaß. Gleichfalls ersah sie die Eigenschaften, welche ihn für die Elohim so angreifbar gemacht hatten. Sie
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