Der einsame Baum - Covenant 05
ich hier bin.«
Mit einem innerlichen Schnauben drehte sich Linden um – und stieß beinahe mit der herben, in den Kettenpanzer gehüllten Gestalt der Ersten zusammen. Die Schwertkämpferin stand mit eherner Härte und angespanntem Unwillen in den Augen da. »Spricht er die Wahrheit?« erkundigte sie sich mit einer Stimme, die einer ruhig bereitgehaltenen Klinge glich. »Haben wir wider ihn keinerlei Macht?«
Linden nickte. Aber ihre Gedanken widmeten sich schon eilig anderem, während sie um die Selbstbeherrschung rang, die sie so dringend nötig hatte. Es mochte sein, daß es ihr gelang, Findails Behauptung zu widerlegen. Doch sie mußte sich in der Gewalt haben. Sie suchte nach einem Festpunkt, einem Halt, an dem sie ihre unabdingbare Entschiedenheit verankern konnte, hob ihr Gesicht zur Ersten. »Erzähl mir von deiner Prüfung! In Elemesnedene. Was haben sie mit dir gemacht?«
Die Unerwartetheit, die anscheinmäßige Irrelevanz der Frage verdutzte die Erste. Aber Linden ließ sich anmerken, daß sie darauf beharrte; und einen Moment später nahm die Erste eine nachgerade förmliche Haltung an. »Pechnase hat mit dir gesprochen«, sagte sie ohne Umschweife.
»Ja.«
»Dann mag's sein, du kannst verstehen, was man mir zugemutet hat.« Sie klammerte eine Hand um den Griff ihrer Waffe. Den anderen Arm hielt sie senkrecht an ihrer Seite, als müsse sie ihn an Handlungen der Ungeduld oder des Unmuts hindern. »Um mich zu prüfen«, berichtete sie, »trat ein Elohim vor mich, der das Aussehen eines Riesen angenommen hatte. Dank irgendeiner Kunst hatte er sich das Äußere und die Eigenheiten Pechnases anzulegen vermocht. Nicht so allerdings, wie ich meinen Gemahl kenne. Vielmehr zeigte er sich mir in der Gestalt eines Pechnase, wie er nach einer von keinem Makel befleckten Geburt gewesen wäre, ohne Fehl an den Gliedmaßen, von hohem, stolzem Wuchs, so heil, wie ein Riese nur sein kann.« Die Erinnerung daran ließ ihren Blick zerstreut werden; ihr Ton jedoch behielt seine Schärfe bei. »So stand er vor mir in dem Bilde, wie Pechnase hätte geboren werden und wachsen können, äußerlich in gänzlicher Übereinstimmung mit dem Geist, den ich zu lieben gelernt habe.« Pechnase stand in der Nähe und hörte mit verschmitztem Lächeln zu. Aber er verzichtete darauf, dem Ausdruck zu verleihen, was in seinen Augen schimmerte. Die Erste blieb gefaßt. »Zuerst habe ich geweint. Dann aber habe ich gelacht. Trotz all seiner Kunstfertigkeit nämlich ermangelte der Elohim ganz und gar des frohen Herzens, das meinen Gemahl Pechnase mit Licht erfüllt.« Ihrer Tonlage floß ein Anklang derben Humors ein. »Dem Elohim mißfiel mein Lachen. Aber er wußte darauf keine Antwort, und so fand meine Prüfung für ihn ein freudloses Ende.« Pechnases ganzes Gesicht spiegelte Gelächter wider, obwohl er keinen Laut von sich gab.
Ein langes Schaudern der Erinnerung durchlief Linden. »Von mir hat Daphin nichts anderes verlangt«, sagte sie – halb zur Ersten, halb zur aufgewühlten See und dem grellen Himmel –, »als daß sie mir Fragen beantworten darf.« Dann trat sie an den Riesen vorbei, ließ sie verständnislos zurück, während sie zum Wohlspeishaus strebte, um unter Deck zu gehen. In Covenants Unterkunft. Das Schaukeln der Dromond störte Lindens Gleichgewicht. Die Sternfahrers Schatz lag leicht unregelmäßig auf ihrem Kurs, schwankte und schüttelte sich unterm unvermutet starken Andrang der Wogen. Aber Linden stützte sich an Wänden oder an Cail, wenn es sein mußte, und ließ sich nicht beirren. Vielleicht war es ihr nicht möglich, die Wahrheit aus Findail herauszuholen. Aber Covenant besaß dazu die Macht. Er konnte es versuchen, falls sie es schaffte, den Schleier zu zerreißen, der sein Bewußtsein umgab wie ein Leichentuch. Auf einmal brannte sie regelrecht darauf, sich darum zu bemühen. Sie sagte sich, ihr wäre ausschließlich an seiner Genesung gelegen, sie brauche seine Gesellschaft, sein Überzeugungsvermögen. Aber ihre Lippen waren aus Grimm fest aufeinandergepreßt, und in ihrem Innern regte sich die Finsternis.
An der Tür zu Covenants Kabine traf sie Brinn. Er hatte die Kabine verlassen, um ihr ein paar Schritte entgegenzukommen. In sturer Haltung verwehrte er ihr den Zutritt. Sein Mißtrauen war in der Luft des Gangs spürbar. Vor dem Aufenthalt in Elemesnedene hatte er ihr nie das Recht streitig gemacht, Covenant aufzusuchen. »Auserwählte«, fragte er nun jedoch unverblümt abweisend, »welcher
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