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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Seiten leicht angewinkelt; die Knie gerade genug gespannt, um im spürbaren Schaukeln des Schiffs das Gleichgewicht zu behalten; den Rücken gestreckt. In Lindens Sicht jedoch erregte er einen absichtsvollen Eindruck. Er stand vor dem Mast, als wären sie zwei alte Kameraden, unmittelbar davor, sich zu begrüßen. »Was, zum Teufel ...?« murmelte Linden.
    »Fürwahr, wäre dieser Dämondim-Sproß dem Ur-Lord nicht durch einen Riesen beigegeben worden«, sagte Pechnase mit einem Auflachen, »ich wollte meinen, er gedächte die Jungfernschaft unseres Fockmasts zu rauben.« Darauf erscholl unter den umstehenden Besatzungsmitgliedern lautes Gelächter, breitete sich wie in einer lustigen Bruderschaft nach oben in die Wanten aus, während man die Äußerung für jene wiederholte, die sie nicht gehört hatten. Aber Linden hörte nicht hin. Ihre Ohren hatten andere Laute aufgefangen – ein gedämpftes Geschrei unter Deck. Als sie ihr Gehör schärfte, erkannte sie Blankehans' rauhes Organ. Er rief Seeträumers Namen. Nicht in Zorn oder Schmerz, sondern aus Fassungslosigkeit. Und Sorge.
    Im nächsten Moment kam Seeträumer aus einer Luke gesprungen und stürmte vorwärts, als habe er vor, sich auf Hohl zu stürzen. Blankehans folgte ihm; aber Lindens Aufmerksamkeit galt wie gebannt nur dem stummen Riesen. Er wirkte wild und visionär, wie ein Prophet oder ein Irrsinniger; und die Narbe in seinem Gesicht zeichnete sich in fahler Schroffheit ab, verlieh seinen Augen zusätzliche Eindringlichkeit. Die Muskeln an seinem Hals traten hervor von Schreien, die er nicht auszustoßen vermochte. Ceer, der die Absicht des Riesen mißverstand, warf sich zwischen ihn und Hohl, vollauf bereit, den Dämondim-Abkömmling zu verteidigen. Doch als Seeträumer in der nächsten Sekunde angriff, richtete sich seine Gewalt nicht gegen Hohl, sondern den Fockmast. Mit vollem Gewicht und allem Schwung rannte er gegen den Mast. Der Anprall erzeugte im Stein ein spürbares Zittern. Die Wucht schleuderte Seeträumer aufs Deck. Sofort raffte er sich auf und attackierte den Mast nochmals. Wie ein Ringer schlang er die Arme um den Mastbaum und zerrte daran, als wolle er ihn herausreißen. Seine leidenschaftliche Anstrengung entfaltete eine solche Wüstheit, daß Linden einen Moment lang glaubte, er würde Erfolg haben. Blankehans packte Seeträumer hinterrücks und versuchte, ihn vom Mast wegzuziehen. Aber er konnte Seeträumers grimmige Umklammerung nicht lockern. Ceer und Hergrom schickten sich an, dem Kapitän beizustehen. Eine matte, traurige Stimme hielt sie zurück. »Genug!« Sie schien direkt aus der Luft zu kommen. »Es ist nicht mein Wunsch, solche Not zu verursachen.« Seeträumer ließ vom Mast ab. Hohl straffte sich. Aus dem Stein des Masts begann eine Erscheinung zu fließen. Indem sie ihr Versteck aufgab, nahm sie menschliche Gestalt an. Es handelte sich um einen Elohim . Er trug ein elegantes cremefarbenes Gewand, verhehlte jedoch nicht die kantige Hagerkeit seiner Gliedmaßen, noch die narbige Bleichheit seiner Haut. Unter den ungepflegten silbernen Strähnen seines Haars wies sein Gesicht eine Zerfurchung und Grämlichkeit wie von fortgesetzten bedrückenden Erlebnissen auf. Rings um seine gelben Augen waren die Höhlen dunkel wie altes Blut. Mit einem insgeheimen Aufkeuchen erkannte Linden in ihm Findail den Ernannten. Sobald seine Gestaltwerdung vollendet war, wandte er sich an Seeträumer. »Vergib mir!« bat er im Tonfall eingefleischten Kummers. »Weil's mir an Klarheit über die Tiefe deiner Erd-Sicht mangelte, trachtete ich danach, mich vor dir zu verbergen. Ich hegte keinerlei Absicht, zum Argwohn Anlaß zu geben. Doch da ich jemand bin, der aus seiner Heimstatt in Elemesnedene fortgesandt worden ist, um euch zu begleiten, war mein Weg durch die See eine schmerzliche und deshalb langsame Sache. Mein Entschluß, mich zu verstecken, beruhte auf einem Fehlurteil, wie nur allzu deutlich die Schnelligkeit beweist, mit der du mich entdeckt hast. Bitte glaube mir, daß ich nichts Übles im Sinn führe!« Alle auf dem Vordeck starrten ihn an; aber niemand antwortete. Linden war völlig entgeistert. Sie konnte Pechnase nicht sehen; er stand hinter ihr. Aber Blankehans' Miene spiegelte genau das wider, was sie selbst empfand. Und Seeträumer hockte zusammengekauert auf dem Deck, die Hände vor dem Gesicht, als habe er soeben die Art seines Todes vorausgeschaut. Nur die Haruchai ließen sich keine Reaktion anmerken. Anscheinend rechnete

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