Der einsame Baum - Covenant 05
Stein und Meer zu zerschmettern. Doch es kippte nicht. Irgendwie bewahrte die Sternfahrers Schatz trotz ihrer Seitenlage ein Gleichgewicht, die Decks backbords beinahe zur Hälfte im Wasser. Und Cail ließ Linden nicht los. Seine Rechte, den Arm in ganzer Länge gestreckt, umfaßte ihr Handgelenk. Ceer, ebenfalls nach unten gereckt, soweit es ging, hielt Cail an den Fußknöcheln. Der Festpunkt der beiden Haruchai war Hohl. Noch immer stand er auf Deck, als wäre er angewurzelt, den Körper in rechtem Winkel zum Stein, nahezu parallel zum Meeresspiegel. Allerdings hatte er seinen Standort abwärts verändert; er befand sich nun dicht am Wasser. Mit beiden ausgestreckten Armen umklammerte er Ceers Fußknöchel. Er unterzog sich jedoch nicht der Mühe, den Kopf zu heben, um zu schauen, ob die Haruchai Linden hatten retten können. Ceer bot alle Kraft gegen den wüsten Andrang des Wassers auf und zog Cail näher ans Deck; und Cail zog Linden mit. Gemeinsam verkürzten die zwei Haruchai die aus ihren Leibern gebildete Kette, bis Cail mit seiner freien Faust Hohls Handgelenk ergreifen konnte. Der Dämondim-Abkömmling unternahm nichts, um den beiden ihre Aufgabe zu erleichtern; doch als sowohl Cail und Ceer an ihm hingen, gab er Ceers Fußknöchel frei. Danach schleiften die Haruchai Linden hinter Hohls Rücken aufs Deck. Gegen seine unnachgiebigen Waden gestützt, gaben sie ihr Gelegenheit zum Atemschöpfen. Linden hatte zuviel Wasser geschluckt; der Salzgeschmack veranlaßte sie zum Würgen. Ein Hustenanfall krampfte ihr die Eingeweide zusammen. Aber als der Anfall vorbei war, stellte sie fest, daß sie leichter atmen konnte als vorm Hereinbrechen der riesenhaften Flutwelle. Die Sternfahrers Schatz trieb auf der Seite, ein Windschatten gegen den Sturm. Die Turbulenz seines Wehens und Sausens wühlte die See beiderseits des Schiffs auf, so daß man ringsum das Meer unverändert wie in Raserei sieden und schäumen sah; auf den Decks aber herrschte auf einmal unheimliche Ruhe.
Plötzlich befiel die Wahrnehmung der unheilvollen Situation des Riesen-Schiffs Linden wie eine Hand des Sturms, und ihr stockte der Atem. Auf jeder Ebene ihrer Sinne glühte die Dromond vor Überlastung. Sie emanierte Schmerz wie ein in den ausweglosen Hinterhalt des Unwetters geratenes, dem Verderben unentrinnbar verfallenes Tier. Vom Heck bis zum Bug, von den Mastspitzen bis zum Kiel schrillte der gesamte Stein von unsäglichen Strapazen, gemartert durch Verspannungen, die von den Erbauern nicht hatten vorausgesehen werden können. Die Sternfahrers Schatz war so weit auf die Seite gesunken, daß die Spitzen ihrer Rahen fast das Wasser berührten. Sie lag genau vorm Wind; und der unbändige Sturm fegte es mit schrecklicher Geschwindigkeit über den Ozean dahin. Hätten weitere Wogen die Dromond getroffen, wäre sie zweifellos unverzüglich untergegangen; doch zumindest in dieser Hinsicht hatte das Schiff Glück, denn der Sturmwind, der die Flutwelle herangeweht hatte, war so enorm stark, daß er die ganze Meeresoberfläche zu einem ausgedehnten, glatten, schaumigen Wasserspiegel niederdrückte. Trotzdem war das vollständige Kentern des Riesen-Schiffs wahrscheinlich nur eine Sache weniger Zentimeter. Hätte der gewaltige Kiel nicht zum großen Gewicht der Masten und Spieren ein Gegengewicht abgegeben, das Ende der Dromond wäre bereits gekommen. Auf gewisse Weise hatte die durch nichts gelinderte Kraft des Winds selbst das Schiff gerettet. Die noch vorhandenen Segel waren durch ihn buchstäblich in Streifen gerissen worden; dadurch war die Wucht, mit der er über das Schiff herfiel, abgeschwächt worden. Doch in dieser Situation war das weitere Überdauern des Riesen-Schiffs eine fragliche Sache, vergleichbar mit der Brüchigkeit alter Knochen. Jede Veränderung der Lage der Dromond im Wind, jedes Stärkerwerden des Sturms oder Anschwellen der See konnte sie aus dem Gleichgewicht bringen. Und jedes Mehr an Wasser, das in den Rumpf der Sternfahrers Schatz lief, drohte sie sinken zu lassen. Inzwischen mußten Riesen an den Pumpen sein; aber Linden vermochte sich nicht vorzustellen, wie sie mit den Strömen von Wasser, die sich durch die Luken und Pforten, durch die geborstenen Türen des Speiseraums ins Schiffsinnere ergossen, Schritt halten sollten. Der Wind umheulte wütend den Rumpf, als wolle er sich, um zu Linden vorzudringen, durch den Stein fressen. Sein Geräusch, das ununterbrochene Jaulen und Pfeifen von Luft, die rings um den gemaserten
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