Der einsame Baum - Covenant 05
jedem, der ins Rutschen geraten sollte, eine Möglichkeit zu bieten, sich zu fangen. In der Anordnung der Leinen ersah Linden die verantwortungsbewußte Sorge Blankehans' um seine Mannschaft, das Leben seines Schiffs. Geschäftig war er dabei, das Spannen weiterer Taue anzuleiten, so daß seinen Leuten zum Schluß ein ganzes Netzwerk von für Fortbewegung und Sicherheit hilfreichen Rettungsleinen zur Verfügung stehen würde.
Als Linden sich Covenant näherte, verlieh seine Gegenwart ihre eine Art künstlichen Schwungs. Sie ergriff den Arm, den Seeträumer ihr entgegenstreckte, schwang sich affenartig von ihm weiter zu Brinn und der Reling. Droben kauerte sie sich neben Covenant und machte sich sofort daran, ihn auf etwaige Verletzungen oder Symptome fortgeschrittenen Verfalls zu untersuchen. Er war fast so naß wie sie, und unwillkürliches Zittern schüttelte ihn, als habe ihn ein Wechselfieber bis in Mark und Bein befallen. In jeder anderen Beziehung jedoch war er noch genau in dem Zustand, in den ihn die Elohim versetzt hatten. Seine Augen glotzten, als wäre ihnen die Fähigkeit abhanden gekommen, einen Brennpunkt zu finden; der Mund stand ihm offen; aus seinem Bart troff Wasser. Während sie ihn untersuchte, wiederholte er seine übliche Warnung, gegen den Wind im Hintergrund nahezu unhörbar. Aber die Äußerung besagte nicht einmal ihm selbst noch etwas. Geschwächt aus Erleichterung und stillem Schmerz, ließ sich Linden an seiner Seite zusammensinken. In der Nähe waren die Erste und Pechnase, warteten auf einen Kommentar Lindens zu Covenants Verfassung. Linden schüttelte den Kopf. Pechnase zuckte auf; die Erste dagegen blieb ruhig. Ihre Haltung erweckte den Anschein, als verursache die Abwesenheit jedes bekämpfbaren Gegners ihr Muskelkrämpfe. Sie war eine ausgebildete Kriegerin; aber das Überleben des Riesen-Schiffs hing von den Künsten der Seefahrer ab, nicht Schwertkünsten. Linden erwiderte den Blick der Ersten und nickte. Sie wußte, wie sich die Schwertkämpferin fühlte.
Während Linden über die Dromond ausschaute, sah sie zu ihrem Entsetzen, daß Windsbraut noch immer an Herzensfreude stand. Wie angewachsen zwischen den steinernen Speichen des Steuerrads und dem Deck verharrte die Lagerverwalterin mit der gleichmütigen Ausdauer einer Statue an ihrem Platz. Zuerst begriff Linden nicht, warum Windsbraut unter solchen Anstrengungen an einer so gefährlichen Stelle blieb oder weshalb der Kapitän so etwas zuließ. Aber dann gewannen ihre Überlegungen an Klarheit. Die Dromond brauchte das Steuerruder, um ihr heikles Gleichgewicht bewahren zu können. Außerdem war es Windsbraut, falls der Wind umschlug, vielleicht möglich, die Sternfahrers Schatz wieder senkrecht vor ihn zu legen. Das Riesen-Schiff würde bestimmt sinken, wenn irgendeine Veränderung seinen Bug in den Sturm drehte. Sollte der Wind jedoch von achtern zu wehen anfangen, bestand eine Chance zum Beidrehen. Mit dem Sturm hinter sich konnte die Sternfahrers Schatz sich womöglich aufrichten und wieder Fahrt aufnehmen. Linden verstand nicht, wie selbst die Sehnen einer Riesin eine derartige Belastung verkrafteten, wie Windsbraut sie ertrug. Aber die derbe Frau umklammerte das Steuerrad und erfüllte ihre Aufgabe, als läge darin die einzige aussichtsreiche Hoffnung.
Endlich war Blankehans mit dem Spannen der Rettungsleinen fertig. Indem er von Tau zu Tau kletterte, gesellte er sich zur Ersten und Pechnase, die sich nach wie vor in Lindens Nähe befanden. Unterwegs rief er den zusammengekauerten Gestalten seiner Besatzung Ermutigung und Scherze zu. Pechnase hatte ihn völlig richtig beschrieben: er war in seinem Element. Seine wie eichenen Schultern trugen am Unglück der Dromond, als wäre die Bürde ihm leicht. »Verzage nicht, Auserwählte!« tönte er, sobald er Lindens Umgebung erreichte. »Sternfahrers Schatz wird uns noch aus diesem Sturm erlösen!«
Linden konnte mit seiner Humorigkeit nicht mithalten. Sein Mut verstärkte noch das Bangen, das sie empfand. »Wie viele haben wir verloren?« Ihre Stimme brach fast, als sie die Frage stellte.
»Verloren?« drang Blankehans' Stimme durch die Blindwütigkeit des Hurrikans. »Niemand ist verloren! Dank deiner Warnung waren wir vorbereitet. Alle sind da! Die du nicht siehst, habe ich an die Pumpen geschickt.« Während er sprach, fiel Linden auf, daß über ihr aus der Seite des Schiffs Fontänen von Wasser schossen, in Dunst und Dunkelheit verschwanden, indem der Wind sie
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