Der einsame Baum - Covenant 05
Verbitterung gesprochen, nicht aus Feindseligkeit. Sie teilte Blankehans' Gefühle. Und sie war hilflos. Das Überleben der Dromond lag in seinen, nicht in ihren Händen. Außerdem hatte es den Anschein, als sei ihr durch den Verlust ihres Schwerts einiges von ihrem lebenswichtigen Selbstvertrauen genommen worden, so daß sie bitter war aus Unsicherheit. Linden verstand sie. Aber sie konnte keinerlei Trost bieten. Sie kehrte zu Covenant zurück, nahm seinen Arm, als wäre schon diese einseitige Berührung eine Form von Ermutigung, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Wasserlinie.
Das Auf und Ab der Wellen hatte zugenommen, vermehrte nach und nach die Einwirkung des Meers auf die Schräglage des Riesen-Schiffs. Linden war sicher, daß der Winkel, in dem das Deck sich befand, steiler geworden war; die Spitzen der Rahen schwebten fatal dicht über der welligen Wasserfläche. Ihre Sinne pochten unter dem angespannten Gleichgewicht des Schiffs. Mit der Lebhaftigkeit einer Vision sah sie voraus, daß die Sternfahrers Schatz, sobald die Enden der Rahen das Wasser berührten, untergehen mußte. Nach einem Weilchen kam Derbhand an Deck geeilt. Sein altes, hageres Gesicht spiegelte schroffe Entschlossenheit wider. Obwohl er einen Teil des gestrigen Tages und die gesamte vergangene Nacht mit der Überwachung des Pumpens zugebracht, selbst an ihnen geschuftet und geschwitzt hatte, bewegte er sich, als stünde die Notsituation der Sternfahrers Schatz über allem, was ihn hätte ermüden können. Er rief mehrere Riesen zu sich. Sobald sie sich um ihn geschart hatten, führte er sie zum Wohlspeishaus und verschwand mit ihnen darin. Linden grub ihre Finger in Covenants Arm und versuchte, ihr Zittern zu unterbinden. Mit jedem Schwellen der Wogen verschlangen die Fluten ein wenig mehr von dem Riesen-Schiff, zogen es stets noch etwas mehr auf die Seite.
Dann hörte man Blankehans unter Deck eine Frage brüllen. Anscheinend hallte sie aus dem Bereich unterm Großmast. Mit rauher Stimme antwortete Derbhand ebenso laut, er sei bereit. Im nächsten Moment dröhnte ein wuchtiges Hämmern durch den Stein. Es übertönte das Gestampfe der Pumpen und durchdrang sogar das langgestreckte Heulen des Winds. Für einen verrückten Augenblick dachte Linden, Blankehans und seine Leute hätten mit Vorschlaghämmern auf den Unterdecks zu wüten angefangen, würden versuchen, das Innere der Dromond auf diese Weise zu ramponieren, als wollten sie sie damit für den Sturm wertloser machen, so daß sich ihr Sinken nicht lohne. Doch die Riesen rings um sie nahmen eine Haltung gespannter Erwartung ein. »Haltet euch in Bereitschaft!« rief die Erste barsch. »Wir müssen drauf gefaßt sein, daß es unser Leben gilt!«
Der Nachdruck, der hinter dem Hämmern stak – verzweifelter Zorn und schmerzliches Verlustgefühl –, lenkte Lindens Aufmerksamkeit hinüber zum Großmast. Der Stein hatte zu schreien angefangen wie ein Gemarterter. Bei jedem Schlag erbebten die Rahen. Da begriff Linden, um was es ging. Blankehans hieb auf das untere Ende des Masts ein. Er beabsichtigte ihn herauszubrechen und von Bord fallen zu lassen, um das Gleichgewicht der Dromond zu verlagern. Das Hämmern hatte den Zweck, den Mast aus der Befestigung zu lösen. Lindens krampfhafter Griff grub sich tief in Covenants Arm. Der Kapitän konnte nach ihrer Meinung unmöglich Erfolg haben. Es blieb zuwenig Zeit. Unter ihr neigte sich das Riesen-Schiff spürbar dem vollständigen Kentern entgegen. Sein Kippen war nur noch eine Frage von Sekunden. Aber Blankehans und die anderen Riesen hämmerten unablässig weiter, wie um einem unerträglichen Schicksal zu trotzen. Ein erneutes Kreischen fuhr aus dem Stein – ein Aufbegehren, das lauter scholl als der Sturm.
Mit einem gräßlichen Knirschen, verursacht durch das Bersten und Splittern von Granit, begann der Mast niederzusacken. Als er aus seiner Befestigung brach, klang es wie der Todeskampf eines ganzen Bergs. Das Dach des Aufbaus stürzte unter ihm zusammen. Der Mast krachte durch die Seite des Riesen-Schiffs.
Die Erschütterung durchlief die Dromond bis in den Kiel, heftiges Beben fuhr vom Bug bis zum Heck durchs Schiff. In Lindens Knochen schrillte mitempfundenes Leid. Sie vermutetet daß sie schrie, wenngleich sie sich nicht hören konnte. Dann übertraf die Lautstärke des Winds den Mißklang des Zusammenbruchs. Wie in einer stummen Gebärde des Unheils klatschte er aufs Wasser, und das Aufspritzen benäßte lautlos alle Decks
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