Der einsame Baum - Covenant 05
hatten allem Anschein nach keine nachhaltigen Schäden erlitten. Die Erste befand sich schon wieder weit genug bei Kräften, um über den Verlust ihres Schwerts zu schimpfen; und Pechnase nuschelte vor sich hin, als verwünsche er den Leichtsinn, der ihn dazu bewogen hatte, mit den bloßen Händen auf die Aale loszugehen. Ihre für die Riesen charakteristische Immunität gegen Verbrennungen hatte sie geschützt. Im Vergleich zu ihnen schien Hergrom gleichzeitig weniger wie auch ernster in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Er hatte nicht die Besinnung verloren, sondern war bei Bewußtsein geblieben. Aber das Zucken seiner Muskeln legte sich nur langsam. Anscheinend hatte sein Widerstand gegen die Folgen der Entladungen bewirkt, daß sie sich um so länger hinzogen. Seine Gliedmaßen hatte er im großen und ganzen wieder in der Gewalt, aber sein Gesicht zuckte und grimassierte fortgesetzt wie in übertriebenem Ausdruck von Bestürzung. Vielleicht war der Wütrich gar nicht geschlagen worden, überlegte Linden, als wären Hergroms Grimassen ein Omen. Vielleicht hatte er schlichtweg genug über Covenants Verfassung und die Situation der Suche in Erfahrung gebracht und hatte sich abgesetzt, um Lord Foul zu informieren.
Dann wandte sie sich ab, um Ceer und Brinn, Blankehans und Seeträumer entgegenzublicken, die sich mit dem Zweifler näherten. Sie bewegten sich vorsichtig an den Rettungsleinen entlang. Wie Hergrom litt auch Brinn an sprunghaftem Muskelzucken. Aber es war schon im Nachlassen begriffen. Nach den durchgestandenen Strapazen war Seeträumer schrecklich ausgelaugt; ansonsten jedoch wies seine wuchtige Erscheinung keine Beeinträchtigungen auf. Blankehans trug Covenant. Bei seinem Anblick füllten sich Lindens Augen mit Tränen. Sie hatte nie zu verhindern verstanden, daß sich ihr Blick bei jeder Gelegenheit verschleierte und verschwamm; diesmal versuchte sie es erst gar nicht. Covenants Zustand war unverändert – entblößt von Geist oder Wille wie eine verlassene Gruft. Doch er war in Sicherheit. In Sicherheit. Als der Kapitän ihn absetzte, ging sie sofort zu ihm. Obwohl ihr solche Gesten nicht vertraut waren, sie womöglich darauf kein Recht besaß, schlang sie ihre Arme um Covenant und scherte sich nicht darum, wer die Inbrunst ihrer Umarmung sehen mochte.
Die Nacht war lang und kalt, und der Sturm toste immerzu weiter wie alle Wut der Welt. Mit irrsinniger Geschwindigkeit fegte die Sternfahrers Schatz auf den Fluten dahin, ständig in bedrohlicher Schwebe zwischen Überdauern und Untergang. Niemand an Bord konnte etwas anderes tun, als sich an die Hoffnung aufs Überleben zu klammern. Es verblüffte Linden, als sie inmitten ihres Schlotterns, das sie bis in Mark und Bein schüttelte, trotz der Müdigkeit, die so tief in ihren Gliedern stak, daß selbst Diamondraught ihr kaum entgegenwirken konnte, auf einmal feststellte, daß sie gleichermaßen zum Hoffen fähig war wie die Riesen. Ihre Geisteshaltung schien ihren zusammengefaßten Ausdruck in Blankehans zu finden, der das Kommando über das Schiff ausübte, als wäre die Sternfahrers Schatz unüberwindbar. An Herzensfreude erregte Windsbraut den Eindruck, als halte sie die Belastung nicht mehr allein in der Starrheit ihres Pflichtbewußtseins aus. Statt dessen packten ihre großen Arme die Speichen, als wäre sie dem Sturm selbst überlegen. Brinn und Hergrom hatten ihre charakteristische Unerschütterlichkeit zurückgewonnen. Die Dromond lebte. Hoffnung war möglich.
Doch als die Morgendämmerung heraufzog, war Linden in so tiefen, von allem anderen baren Durchhaltewillen verkrampft, daß der Sonnenaufgang sie überraschte. Durch die Erschöpfung abgestumpft, wußte sie nicht, was sie stärker erstaunte – die schlichte Tatsache, daß ein neuer Tag anbrach, nach der schier endlosen Quälerei der Nacht nahezu unvorstellbar, oder der Umstand, daß der Himmel frei war von Wolken. Sie traute kaum ihren Augen. Im Windschatten des Schiffs war ihr nicht aufgefallen, daß der Regen irgendwann im Laufe der Nacht aufgehört hatte. Nun verfärbte sich der Himmel von düsterem Blaurot zu hellem Blau, als sich fast unmittelbar hinterm Heck des Riesen-Schiffs die Sonne zeigte. Die Wolken waren so restlos verschwunden, als hätte das fortwährende Drängen des Sturms sie ein für allemal vom Himmel gerissen. Nur der Wind wehte noch, in seiner Kraft ungeschwächt, unvermindert stark.
Linden blinzelte schwächlich und musterte ihre Gefährten. In der
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