Der einsame Baum - Covenant 05
Unbarmherzigkeit der Natur enthüllt. Diese Wüste reicht so weit, wie jemals Bhrathair ins Land vorgedrungen sind, wiewohl's eine Geschichte gibt, der zufolge fern im Süden die Wüste zu einem Wunderland wird, in der des Menschen Auge in aller nur erdenklichen Farbenpracht schwelgen kann.« Sein Arm schwenkte das Medaillon, daß es an seiner Hand hin- und herflog und kreiste. »Kein Volk außer uns Bhrathair hat jemals einem so gewaltigen, dem Leben so feindlichen Land ein Dasein abgerungen. Aber wir haben noch mehr vollbracht. Die Sandbastei kennt ihr bereits. Unser Reichtum übertrifft den von Herrschern gesegneterer Reiche. Doch nun seht ihr zum erstenmal ...« – irgendeine Erwartung verpreßte ihm die Stimme – »den Schrecken der Sandgorgonen. Nirgendwo sonst auf dem ganzen Erdkreis ist je ein derartiges Zauberwerk gelungen.« Widerwillig schaute Linden in die Richtung, wohin der Gaddhi den Blick der Gefährten lenkte. Der heiße Sand erfüllte die Knochen ihrer Stirn mit Schmerzen, als begänne die drohende Gefahr in diesem Moment akut zu werden; doch das ferne Tosen zog ihren Blick an. »Und kein anderes Volk hat jemals über so mörderische Widersacher obsiegt.« Lindens Gefährten schienen von dem entfernten Brodeln der Gewitterwolken wie gebannt zu sein. Selbst die Haruchai starrten an den Horizont, als erwögen sie, sich mit jener Macht zu messen. »Die Sandgorgonen!« Rant Absolains Erregung wuchs. »Sie sind euch unbekannt – doch laßt mich euch folgendes sagen. Nur ein solches Geschöpf, ließe man ihm die Freiheit und genug Zeit, vermöchte die Sandbastei zu bestürmen, daß zuletzt kein Stein auf dem anderen verbliebe. Eins! Diese Wesen sind fürchterlicher als Wahnsinn oder Alpträume. Aber sie sind gemeistert worden. Heute verbringen sie ihr Dasein damit, aussichtslos wider den Wirbel anzurennen, den wir deshalb gar trefflich den Schrecken der Sandgorgonen nennen, während wir gedeihen, von Bedrängnis befreit. Außerordentlich selten wird eine von ihnen aus dem Wirbel entlassen – und dann nur für kurze Frist.« Die Spannung in seiner Stimme gewann an Schärfe, jedes Wort, das er äußerte, steigerte ihn in größere Erregung hinein. Am liebsten hätte Linden dem Schrecken der Sandgorgonen den Rücken zugekehrt, ihre Freunde von der Brüstung zurückgerissen. Aber sie vermochte das, was ihr solche Unruhe einflößte, nicht zu benennen. »Während etlicher Jahrhunderte haben die Bhrathair nur leben können, weil die Sandgorgonen sie nicht bis zum letzten Mann ausrotteten. Nun jedoch bin ich der Gaddhi von Bhrathairealm und der ganzen Großen Wüste, und sie sind in meiner Gewalt!« Er beendete seine Ausführungen mit einer weiträumigen, schwungvollen Gebärde des Stolzes; und da plötzlich entglitt die ebenholzschwarze Kette seinen Fingern. In hohem Bogen sauste sie im Sonnenschein über die Brüstung und den bleichen Sand, fiel dicht unterhalb des Sandwalls zu Boden. Beim Aufprall stob Sand empor, sank herab. Die dunkle Sonne des Medaillons lag auf der verblichenen Erde wie ein Schmutzfleck.
Die Frauen des Gaddhi keuchten auf, drängten sich vorwärts, um hinabzuschauen. Die Riesen beugten sich über die Brüstung. Rant Absolain regte sich nicht. Er schlang die Arme um den Brustkorb, als käme es ihm darauf an, eine geheime Emotion unbedingt zu verhehlen.
»O Gaddhi, sei unbesorgt«, sagte Rire Grist unverzüglich, ganz wie ein tüchtiger Höfling. »Nur ein Weilchen, und du wirst die Kette wieder in Händen halten. Ich werde meinen Unterführer schicken, um sie zu holen.«
Der Soldat, der ihn begleitete, wollte sich zur Treppe entfernen, offenbar in der Absicht, durch eines der äußeren Tore nach draußen und am Sandwall entlang zu dem Medaillon zu gehen. Doch der Gaddhi sah den Caitiffin nicht einmal an. »Ich will sie sofort wiederhaben«, schnauzte er trotzig-autoritär. »Schafft Seil her!«
Ohne Verzug verließen zwei Wachen die Mauerkrone, betraten den Wehrgang und begaben sich durch den nächstgelegenen Zugang ins Innere des Sandwalls. Krampfhaft suchte Linden nach irgendwelchen Anhaltspunkten für die Gefahr. Mit jeder Sekunde konnte sie sie immer näher bevorstehen spüren. Doch die Haltung des Gaddhi war nicht aufschlußreich genug, um seine Absicht durchschaubar zu machen. Rire Grists sorgsame Gefaßtheit zeigte an, daß er in einer Scharade seine Rolle spielte – aber das hatte Linden ohnehin längst angenommen. Von den Frauen ließ sich nur den beiden Meistgeliebten
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