Der einsame Baum - Covenant 05
Großen Wüste, der euer Interesse erregen mag. Gedenkt ihr, des Gaddhi Wunsch zu erfüllen?« Er wirkte ruhig und sicher. Aber die leichte Verkniffenheit um seine Augen bewies Linden hinreichend, die Gefahr war keineswegs abgewendet.
Die Haltung der Ersten zeugte deutlich von ihrer Erbitterung, mit der sie die Überlegung anstellte: Haben wir eine Wahl? Aber Linden wußte dazu nichts zu sagen. Die Macht der Entscheidungsfähigkeit war ihr abhanden gekommen. Sie empfand ihre Befürchtungen wie dunkle Schwingen über ihrem Kopf; sie machten ihr alles unmöglich. Man wird Hergrom umbringen!
Aber die Gefährten hatten tatsächlich keine Wahl. Sie konnten keinesfalls den Kampf mit der gesamten Garde des Gaddhi und zudem mit seiner Reiterei aufnehmen. Und wenn sie nicht zu kämpfen beabsichtigten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als weiter die Rolle von Gästen Rant Absolains zu spielen. Lindens Blick schweifte über den glanzlosen Stein des Fußbodens, wich den Augen aus, die sie musterten, bis die Erste Rire Grist schließlich Antwort gab. »Wir sind bereit.« In innerer Pein verkrampft, folgte Linden den Gefährten aus dem Eßzimmer.
Der Caitiffin führte sie hinunter zu den wuchtigen Toren der Sandbastei. Im Vorsaal des Ersten Runds befanden sich ungefähr vierzig Soldaten dabei, ihre Pferde abzurichten, ließen ihre Reittiere durch die gewaltige, trüb beleuchtete Halle tänzeln und Bocksprünge machen. Sämtliche Pferde waren schwarz oder zumindest dunkel, und ihre Hufe schlugen in den Schatten Funken, die Vorboten eines noch entfernten Unheils glichen. Rire Grist grüßte den Befehlshabenden der Reiter in vertraulichem Kommandoton. In der Mitte seiner Truppe war er selbstsicher. Aber er geleitete die Gefährten durch die Halle, ohne ein einziges Mal stehenzubleiben.
Als sie in den Streifen freien Untergrunds gelangten, der die Festung rundum säumte, traf die Wüstensonne sie mit einer spürbaren Lohe von Helligkeit und Hitze. Linden mußte sich erst einmal abwenden, um ihre Sicht zu klären. Sie blinzelte an den dunstig getönten Himmel zwischen den Mauern empor, darauf bedacht, irgendeine Erleichterung ihrer Sinneswahrnehmung von der massigen Bedrückung durch die Sandbastei zu finden. Doch der Erfolg blieb ihr versagt. In der Höhe gab es keine Vögel. Und die Wehrgänge in der oberen Biegung des Walls waren in regelmäßigen Abständen mit Hustin bemannt. Cail ergriff Lindens Arm, zog sie den Gefährten hinterdrein, ostwärts in den Schatten der Mauer. Lindens Augen waren über das Dunkel des Schattens froh; allerdings änderte es nichts an der trockenen Weise, wie die Luft ihre Lungen reizte. Bei jedem Schritt rutschte der Sand unter ihren Füßen, schien ihr Kraft aus den Beinen zu saugen. Als die Gefährten das Osttor des Sandwalls passierten, verspürte sie ein nahezu unwiderstehliches Verlangen, kehrtzumachen und wegzulaufen. Während er höflich über Bau und Anlage des Sandwalls plauderte, geleitete Rire Grist die Gefährten um das Erste Rund zu einer breiten, in den Sandwall eingelassenen Treppe. Er erläuterte der Ersten und Blankehans, es gäbe zwei solche Treppen, und die andere befände sich gegenüber, auf der anderen Seite der Sandbastei; ferner hätte man andere Wege, um den Sandwall zu erreichen, nämlich durch unterirdische Gänge aus dem Innern der Festung. Er bediente sich eines verbindlichen Tons; seine Gemütsverfassung war jedoch anders. Ein Schaudern wie von Fieber durchlief Linden, kaum daß der Caitiffin einen Fuß auf die Treppe setzte. Nichtsdestotrotz folgte sie ihm hinauf, als hätte sie angesichts der Zwangslage, die das Handeln der Ersten bestimmte, ihren unabhängigen Willen aufgegeben. Die Stufen waren breit genug für acht oder zehn Personen nebeneinander. Aber die Treppe war steil, und sie in der Hitze zu ersteigen, ließ Lindens Gesicht rot anlaufen, pappte ihr das Hemd mit Schweiß an den Rücken. Als sie am oberen Ende der Treppe ankam, fühlte sich ihre Atmung an, als wäre die Luft voller Nadeln. Zwischen seinen Brüstungen war der Sandwall so breit wie eine Straße, und der Boden war eben genug, um Pferden und Gespannen eine schnelle Fortbewegung zu ermöglichen. Linden stellte fest, daß sie sich nun in gleicher Höhe mit dem oberen Rand des Ersten Runds befand und jedes der immensen, runden Stockwerke der Sandbastei sehen konnte, die sich eindrucksvoll himmelwärts türmten, gekrönt vom schmucklosen Turm der Wesirswacht. Außerhalb des Sandwalls erstreckte sich
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