Der einsame Baum - Covenant 05
voller Gefühl und Gemüt bedeckte besagte Gegend, ein Geist und ein Herz lebten in jeglichem Blatt und jedwedem Ast eines jeden Baums inmitten der gewaltigen, vielfältigen Weite und Herrlichkeit jenes Waldes. Und die Elohim liebten sein Leben. Doch Haß erhob wider den Wald sein scheußliches Haupt und trachtete nach seiner Vernichtung. Und das war ein arges Übel, denn ein Baum mag Liebe kennen, Schmerz fühlen und klagen, aber er hat Mangel an Mitteln zu seiner Verteidigung. Zu derlei fehlt's ihm an Wissen. Daher fanden wir Elohim uns zusammen, um zu beraten, und aus unserer Mitte wählten wir eine Ernannte, der's zufiel, ihr Leben jenem Wald zu schenken. Das vollbrachte sie, indem sie mit den Bäumen verschmolz, bis sie das Wissen erlangten, dessen sie bedurften. Sie nutzten das Wissen, um die Ernannte in Stein zu binden, verwendeten ihren Namen und ihr Wesen darauf, gegen jenen Haß eine Wehrkraft zu schaffen. So ward die Ernannte sich selbst und ihrem Volk verloren, aber die Wehr verblieb, solange des Waldes Wille erhalten blieb und er sie zu stützen vermochte.«
»Der Koloß«, sagte Covenant leise. »Der Koloß am Wasserfall.«
»Ja«, bestätigte Findail.
»Und als Menschen ins Land kamen, die Bäume zu fällen anfingen, als wären sie nichts als Hindernisse und Holz, hat der Wald das Gelernte angewendet, um die Forsthüter zu schaffen. Das dauerte aber zu lange, und es waren zuviel Menschen und zuwenig Forsthüter, sie konnten nicht überall gleichzeitig sein, den blindwütigen, rohen oder ganz einfach bedenkenlosen Einsatz von Äxten und Feuer nicht unterbinden. Sie hatten Glück, den Geist des Waldes überhaupt so lange wachhalten zu können, wie sie's getan haben.«
»Ja«, wiederholte Findail.
»Hölle und Verdammnis!« knurrte Covenant. »Weshalb habt ihr nichts unternommen?«
»Ringträger«, entgegnete der Elohim, »wir waren unterdessen weniger jung geworden. Und die Bürde, ein Ernannter zu sein, ist uns zuwider, dieweil wir nicht für den Tod geschaffen sind. Deshalb widerstrebt es uns immer stärker, uns anderen als den eigenen Erfordernissen und Bedürfnissen zu widmen. Heute ziehen wir weit seltener in die Welt hinaus, obzwar wir dadurch nicht weniger wissen – denn was die Erde weiß, das wissen auch wir –, doch werden wir infolgedessen seltener von der Liebe befallen, die in den Tod führt.« Übergangslos sprach er weiter. »Aber meine Geschichte ist noch nicht erzählt. Es ist mein Wunsch, von Kastenessen zu erzählen, der allein von jenen, die man zu Ernannten bestimmte, darauf sann, sich seiner Bürde zu erwehren. Zur Zeit der Jugend der Elohim war er jugendlicher als andere – jugendlich, wie heute Chant ist, starrköpfig und jäh, wenngleich er ein gänzlich andersartiges Gemüt besaß. Unter all jenen, die auf der Erde umherschweiften, zog er häufiger und weiter als die anderen aus. Zum Zeitpunkt seiner Erwählung weilte er nicht in Elemesnedene. Vielmehr hatte er Wohnsitz in einem Land im Osten genommen, wo man die Elohim nicht kennt und nichts von ihnen ahnt. Und dort tat er etwas, was kein zweiter Elohim jemals getan hat. Er entbrannte in Liebe zu einem sterblichen Weib. Er wandelte unter ihrem Volk wie ein Mann aus dessen Mitte. In der Abgeschiedenheit ihres Heims jedoch war er ein Elohim und schändete jegliche Vorstellung, deren sterbliches Fleisch fähig ist. Das war ein Verhalten, das wir verwarfen und noch verwürfen, wiewohl wir's nicht böse nennen. Er erlegte dem Weib einen Preis auf, den's nicht zu begreifen und dem's sich nicht zu verweigern vermochte. Begnadet oder vielmehr geschlagen mit aller Erde, aller Liebe und allen Möglichkeiten des Seins, vereint in einer menschlichen Gestalt, ging sie ihrer Seele nach Art des Wahnsinns oder der Besessenheit verlustig, statt die Liebe der Sterblichen zu kosten. Indem Kastenessen sie liebte, bewirkte er ihr Verderben und wußte es nicht. Er mochte davon nichts wissen. Daher kam's, daß wir ihn, um dem Harm ein Ende zu machen, zum Ernannten einsetzten. Denn zu jener Zeit drohte der Erde eine Gefahr, der wir unsere Augen nicht verschließen konnten. Im fernsten Norden der Welt, wo der Winter seine Wurzeln aus Eis und Kälte hat, war zwischen den Grundfesten des Himmels ein Feuer entstanden. Ich spreche nicht von der Ursache selbigen Feuers, nur von seiner Gefährlichkeit für die Erde. An seiner Stätte und dank seiner Heftigkeit verfügte es über die Kraft, die Welt ihrer festen Schale zu berauben. Und als wir Elohim
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