Der einsame Baum - Covenant 05
verneigen,
Denn nimmer gab 's für ihn zu sehen
Das Erd-Wrack, wie's unter Sternen treibt,
Nie sah er Stürme des Verderbens wehen.
Vergängliches hat sterblich Augen.
Verbeugen mag sich, wer aufrecht geht,
Weil Spreu er ist in jenem Wind
All dessen, das er nicht versteht.
Preis der Gesichte sind Kühnheit und Wagen,
Oder Vergehen von allem und Tod.
Denn da ist weder Traum noch Friede.
Wenn die Erde zu stürzen droht.
Drum mag sich jeder andre neigen,
Der nicht sieht und nicht versteht:
Erspart bleibt's ihm, zu wandeln,
Wo der Ernannte geht.«
Das Lied erhob sich ohne jede Mühe aus seinem Innern, und als er verstummte, hinterließ es einen Eindruck von Überzeugungskraft, die an Bezauberung grenzte. Trotz ihres gefühlsmäßigen Argwohns, ihrer Gründe zur Verärgerung, kam Linden der Gedanke, vielleicht seien die Elohim tatsächlich ehrbar. Sie befanden sich außerhalb ihres Beurteilungsvermögens. Wie sollte sie das Ethos eines Volkes verstehen können – und wieviel weniger bewerten –, das an buchstäblich allem ringsherum Teilhabe, an der grundlegenden Substanz der Erde selbst Anteil hatte?
Doch sie wehrte sich gegen diesen Gedanken. Es gab zu viele Anlässe zu Bedenken und Zweifeln. Ein einzelnes Lied war keine ausreichende Antwort. Sie wahrte innere Distanz und wartete auf die Geschichte des Ernannten.
Mit gelassener Stimme begann er ins verhaltene Atmen der Riesen zu sprechen. Zum Zweck des Erzählens bediente er sich seiner normalen menschlichen Stimme, fand sich mit den begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten der Kehle eines Sterblichen ab, befleißigte sich bewußt der dazu erforderlichen Geduld, als habe er zu vermeiden vor, daß seine Zuhörer sich aus dem falschen Grund beeinflussen ließen. Oder als ob er seine Geschichte als bitter empfindet , dachte Linden, und Abstand zu ihr bewahren möchte.
»Wir Elohim sind anders als die übrigen Völker der Erde«, sagte er in den Laternenschein und die Dunkelheit. »Wir sind Teil der Erde, und die Erde ist Teil von uns, und selbiges auf vollkommenere und vollständigere Weise als jede andere Erscheinung von Leben. Wir sind ihr Würd. Es gibt keinen angemesseneren oder trefflicheren Namen für uns. Und deshalb sind wir ein einsames Volk geworden, der Außenwelt entzogen, und lassen mit allem Vorsicht walten, was mit unserer Duldung aus der äußeren Welt auf uns eindringt. Wie könnten wir anders handeln? Schwerlich haben wir Verursachung, Beziehungen zu anderem als unserem eigenen Leben zu suchen. Und oftmals ist's wahr, daß jene, die zu uns kommen, von dem, was sie vorfinden, kaum Vorteil haben. Doch nicht immer war's unter uns so. In einer Zeit, die uns nicht ferne deucht, aber die selbst unter euren dauerhaftesten Überlieferungen vergessen worden ist, sind wir nicht in solchem Maß allem ferngeblieben. Aus unserer Heimat und der Mitte von Elemesnedene brachen wir auf und bereisten die ganze weite Erde, forschten nach dem, nach welchselbigem wir nun in uns selbst zu forschen gelernt haben. In der gleichen Weise wie die Erde nämlich altern auch wir nicht. Auf unsere Weise jedoch waren wir damals jünger denn heute. Und in unserem Jungsein schweiften wir durch viele Orte und Zeiten, und wir nahmen, wiewohl womöglich nicht immer weise, an allem Anteil, dem wir begegneten. Doch nicht das ist's, wovon ich zu sprechen gedenke. Vielmehr gilt meine Rede den Ernannten. Den Elohim, die vor mir in die Welt ausgesandt worden sind, die man um der zerbrechlichen, bedrohten Erde willen ihres Namens entledigt, denen man ihre Wahl und ihre Zeit genommen hat. Sie haben jene Bürden auf sich geladen, die Frucht der Gesichte und des Wissens, von denen vieles der Erde oder die ganze Erde abhing. Doch hat in ihrem Wirken jugendlicher Sinn seinen Einfluß ausgeübt. In vergangenen Zeitaltern nahmen wir bei Gelegenheit auch Wagnisse auf uns, von denen ich nicht behaupten mag, sie seien geringer gewesen, aber doch, daß sie von minderer Bedeutsamkeit gewesen sind. Ersahen wir einen Notstand, der unsere Herzen bewegte, kamen wir zusammen und bestimmten einen Ernannten, auf daß er ausziehe und selbigem Notstand abhelfe. Ich will ein Beispiel nennen, so daß ihr die Art jener Notstände erkennt, von denen ich Rede führe. In der dunklen, kaum in Erinnerung befindlichen Vergangenheit jener Gegend, die ihr das Land heißt, bestand dort das Leben noch nicht aus dem Dasein von Männern und Frauen, sondern von Bäumen. Ein einziger, ausgedehnter Wald
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