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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Leben sie bei der Haven Farm gerettet hatte. »Nur ohne Bart. Aber er war vollkommen anders als du. Er war bemitleidenswert .« Die plötzliche, heftige Bösartigkeit, mit der sie das Wort hervorstieß, raubte ihr für einen Augenblick den Atem. Seine Kläglichkeit war es, an was sie immer hatte glauben wollen – um sie verächtlich verwerfen zu können. Aber es war nicht einmal die Wahrheit. Trotz seines jämmerlichen Daseins war ihr Vater stark genug gewesen, um Lindens ganzes Wesen nachteilig zu beeinflussen. In seiner Hängematte wirkte Covenant, als müsse er der Versuchung widerstehen, sie anzuschauen; aber er verzichtete darauf, sie mit seinem Blick in Verlegenheit zu bringen. Geballte Emotionen gaben ihrer Stimme einen harten Klang, als Linden weitersprach. »Wir haben ein paar Kilometer vor einem öden kleinen Kaff gewohnt, ähnlich wie die Ortschaft, wo du wohnst. In einem dieser wackligen, eckigen Fachwerkhäuser. Seit meine Eltern eingezogen waren, war es nicht gestrichen worden, und es begann richtig runterzukommen. Mein Vater züchtete Ziegen, Gott weiß, woher er das Geld hatte, um Ziegen zu kaufen , ehe er überhaupt anfangen konnte, welche zu züchten. Jede Erwerbstätigkeit, die er ausübte, war mieser als die vorherige. Seine Vorstellungen von einer stolzen, unabhängigen Existenz bezogen sich aufs Verkaufen von Staubsaugern an Haustüren. Als das nicht klappte, versuchte er's mit Enzyklopädien. Dann mit Wasserreinigungsgeräten. Wasserreinigern! Im Umkreis von fünfzig Kilometern besaß jeder einen eigenen Brunnen, und das Wasser war sowieso gut. Und jedesmal, wenn wieder eine Karriere in die Binsen ging, schien er kleiner zu werden. Irgendwie einzuschrumpfen. Er hielt sich für einen abgebrühten Individualisten. Einen Mann, der seinen eigenen Weg geht. Sich vor niemandem beugt. Guter Gott! Wahrscheinlich ist er auf den Knien rumgerutscht, um an das Geld für die Ziegen zu gelangen. Er hatte irgendwas mit Milch und Käse im Kopf. Zuchtmaterial und Fleisch. Gleichzeitig hatte er vom Ziegenzüchten nicht mehr Ahnung als ich. Er legte sie einfach an Leinen und ließ sie rund ums Haus grasen. Es dauerte nicht lange, und wir wohnten in hundertfünfzig Meter Umkreis in Dreck und Ziegenscheiße. Die Reaktion meiner Mutter bestand daraus, alles zu essen, was ihr in die Hände fiel, dreimal in der Woche in die Kirche zu gehen und mich zu bestrafen, wenn ich meine Kleidung verschmutzte. Als ich acht war, hatten die Ziegen auf unserem Grundstück den letzten Grashalm ausgemerzt und begannen auf Land zu fressen, das jemand anderem gehörte. Natürlich sah mein Vater das keineswegs als tragisch an. Der Eigentümer hatte selbstverständlich was dagegen. An dem Tag, als mein Vater zur Gerichtsverhandlung erscheinen sollte, hatte er – wie ich später erfahren habe – meiner Mutter noch immer nichts davon gesagt, daß wir in derartigen Schwierigkeiten steckten. Also nahm sie das Auto und fuhr zur Kirche, und er konnte nicht zum Gericht – außer zu Fuß, das hatte aber keinen großen Sinn, es waren dorthin um die vierzig Kilometer. Das war im Sommer, deshalb war ich nicht in der Schule. Ich war draußen beim Spielen, wie üblich hatte ich mir die Kleider verschmutzt, deshalb bin ich schließlich nervös geworden. Meine Mutter kam erst Stunden später zurück, aber in dem Alter hatte ich noch kein richtiges Zeitempfinden. Ich wollte irgendwo sein, wo ich mich sicher fühlen konnte, deshalb ging ich auf den Dachboden. Unterwegs habe ich ein Spiel gespielt, das ich mir schon lange angewöhnt hatte, es bestand daraus, die Treppe hinaufzugehen, ohne daß sie knarrte. Das gehörte dazu, was bewirkte, daß ich mich auf dem Dachboden so sicher fühlte. Niemand konnte hören, wenn ich hinaufschlich.« Die damalige Szene war ihr noch immer so lebhaft in Erinnerung, als sei sie ihrem Gedächtnis mit Säure eingeätzt worden. Aber sie betrachtete sie wie eine Zuschauerin, mit der Strenge, die sie so viele Jahre lang in sich genährt hatte. Sie wollte nicht das kleine Mädchen sein, nicht seine Emotionen durchleben. Ihre Augen glichen in ihren Höhlen heißen Murmeln. Ihre Stimme war scharf und präzise wie ein Skalpell geworden. Nicht einmal die Verspannung, die in ihrem verkrampften Rücken aufstieg, konnte sie zu einer einzigen Regung veranlassen. Sie stand so starr da, wie es möglich war, leugnete mit all ihren Instinkten sich selbst. »Als ich die Tür öffnete, sah ich auf dem Dachboden meinen Vater. Er saß in

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