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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Blick angezogen und unverrückbar festgehalten, sie gebannt. Er war die gräßliche Höhle, der Schlund, woraus die Finsternis quoll, sie fortgesetzt mit Schrecken überschwemmte. Du hast mich ja sowieso nie geliebt. Mich nie geliebt. Nie geliebt! Eine nunmehr von der schauerlichen Böswilligkeit der Berührung Gibbons nicht zu unterscheidende Finsternis. Vielleicht hatte sie sich den Anblick nur eingebildet, war er lediglich ein Produkt ihrer kindlichen, offenen Verzweiflung gewesen. Das machte keinen Unterschied aus. Er hatte sie mit Machtlosigkeit belegt, und sie würde nie wieder davon frei sein.
    »Lange danach ist er gestorben. Und lange danach kam meine Mutter nach Hause. Inzwischen war ich viel zu abgetreten, um noch zu wissen, wie mir geschah. Stunden sind vergangen, ehe sie uns genug vermißt hat, um endlich zu merken, daß der Dachboden abgeschlossen war. Dann mußte sie erst Nachbarn holen, damit sie ihr beim Öffnen der Tür halfen.« Es bereitete ihr Mißmut, zu sehen, wieviel Betroffenheit sich in Covenants Gesicht widerspiegelte. Sie wollte nichts dergleichen von ihm. Es schwächte ihren Selbstschutz. In ihrem Mund kostete sie noch den ehernen Geschmack der Wut. Sie konnte nicht länger verhindern, daß ihre Stimme zitterte. Aber sie vermochte jetzt nicht mehr aufzuhören. »Ich bin die ganze Zeit hindurch bei Bewußtsein gewesen – während jeder einzelnen Minute –, aber ich war nicht dazu imstande, irgend etwas zu tun. Ich lag bloß am Boden, bis man schließlich die Tür aufbrach und mich ins Krankenhaus schaffte. Dort bin ich zwei Wochen geblieben. Das war die einzige Zeit, an die ich mich entsinnen kann, in der ich mich völlig sicher gefühlt habe.« Da plötzlich verstärkte sich das Beben in ihren Gelenken dermaßen, daß sie unmöglich weiter stehen konnte. Covenants Blick glich einem stummen Aufschrei des Mitgefühls. Linden tastete sich zu dem Stuhl, setzte sich. Ihre Hände wollten nicht das Zucken einstellen. Sie klemmte sie zwischen die Knie, während sie ihre Erzählung beendete. »Meine Mutter hat an der ganzen Sache mir die Schuld gegeben. Sie mußte die Ziegen und das Haus dem Mann verkaufen, der meinen Vater verklagt hatte, nur um die Beerdigungskosten und die Krankenhausrechnungen bezahlen zu können. Wenn sie in eine ihrer Orgien von Weinerlichkeit verfiel, beschuldigte sie mich sogar, ihren teuren Ehemann umgebracht zu haben. Aber meistens machte sie mich einfach für die gesamte Situation verantwortlich. Sie mußte Wohlfahrtsunterstützung beantragen – weiß Gott, sie konnte keine Arbeit annehmen, das hätte sie ja daran hindern können, in die Kirche zu rennen –, und wir mußten in eine schäbige kleine Wohnung im Ort ziehen. Irgendwie war's eben meine Schuld. Verglichen mit ihr war eine Achtjährige im Schockzustand wie eine lebenstüchtige Erwachsene.«
    Die langjährige Bitternis ihres Lebens wäre womöglich noch weiter aus ihr hervorgeströmt, hätte vielleicht die angestaute Verbitterung etwas gemildert; aber Covenant kam ihr zuvor. »Und du hast ihr nie verziehen«, sagte er mit vor Schmerz und Kümmernis gepreßter Stimme. »Du hast beiden niemals verziehen.«
    Seine Worte kränkten sie. War das alles, was er ihrer komplizierten Geschichte, aus der Tatsache, daß sie sich dazu durchzuringen fähig gewesen war, sie ihm zu erzählen, entnommen hatte? Im nächsten Moment stand sie wieder auf den Beinen und an seiner Hängematte, schnauzte zu ihm hinauf. »Da hast du verdammt recht , ich habe ihnen nie verziehen! Wie ich bei ihnen aufgewachsen bin, war mir nichts anderes bestimmt, als auch durch so einen blödsinnigen Selbstmord zu enden!« Um eine Dienerin des Verächters zu werden. »Mein ganzes Leben lang habe ich darum gekämpft, zu beweisen, daß sie alles falsch gemacht haben!«
    Die Muskeln rings um seine Augen kniffen sich zusammen; sein Blick ähnelte einer blutigen Wunde. Aber er blieb unnachgiebig. Die herben Linien seines Mundes, die Hagerkeit seiner Wangen erinnerten sie daran, daß er vertraut war mit den Verlockungen des Freitods. Und er war ein Vater, der Frau und Kind aufgrund keiner anderen Schuld als einer Krankheit verloren hatte, die er niemals hätte abwenden können. Dennoch lebte er. Er focht um sein Leben. Immer wieder hatte sie mitangesehen, wie er sich von Verhaltensweisen und Auffassungen abkehrte, die der Haß diktierte. Und trotz all dessen, was sie ihm erzählt hatte, zeigte er sich ihr gegenüber nicht kompromißbereit. »Ist es das,

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