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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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einem halb zerbrochenen Schaukelstuhl, und rings um ihn war am Boden alles rot. Ich habe gar nicht kapiert, daß es Blut war, bis ich sah, daß das ganze rote Zeug aus Schnitten in seinen Handgelenken kam. Von dem Geruch wäre mir fast schlecht geworden.« Covenants Blick ruhte nun auf ihr, seine Augen waren aus Bestürzung geweitet; aber Linden mißachtete seinen Blick. Ihre gesamte Anstrengung und Aufmerksamkeit richtete sich darauf, heil durchzustehen, was sie zu erzählen hatte.
    »Er schaute mich an. Im ersten Moment erkannte er mich anscheinend gar nicht. Oder vielleicht meinte er zuerst, meine Anwesenheit sei bedeutungslos. Aber dann raffte er sich aus dem Schaukelstuhl auf und fing an, mit mir zu schimpfen. Ich konnte ihn überhaupt nicht verstehen. Später habe ich mir zusammengereimt, was er hatte. Er befürchtete, ich könnte seinen Selbstmord noch verhindern. Ans Telefon gehen. Irgendwie Hilfe holen. Obwohl ich erst acht war. Also knallte er die Tür zu und schloß mich mit sich ein. Dann warf er den Schlüssel aus dem Fenster. Bis dahin hatte ich gar nicht gewußt, daß es oben einen Schlüssel gab . Er mußte schon immer im Schloß gesteckt haben, aber er war mir nie aufgefallen. Sonst hätte ich mich jedesmal eingeschlossen, wenn ich mich auf dem Dachboden aufhielt, dadurch hätte ich mich noch sicherer gefühlt. Auf jeden Fall, nun war ich dort oben bei ihm und mußte zuschauen, wie er starb. Ich brauchte ein Weilchen, um voll und ganz zu begreifen, was eigentlich geschah. Aber sobald ich es verstand, geriet ich in Entsetzen.« Entsetzen, wahrhaftig. Das war ein zu schwacher Ausdruck für ihr Grauen. Hinter Lindens harter Selbstbeherrschung kauerte ein kleines Mädchen, dessen Herz man in Scherben zerbrochen hatte. »Ich habe geschrien und geweint, aber das hat nichts genutzt. Meine Mutter war noch in der Kirche, und wir hatten keine Nachbarn, die so nah wohnten, daß jemand mich gehört hätte. Und meinen Vater machte ich damit nur noch wilder. Er hatte es ohnehin aus Gehässigkeit getan. Daß ich weinte, brachte ihn vollends außer sich. Falls ich je eine Chance hatte, ihn umzustimmen, damit habe ich sie verdorben. Vielleicht war's in Wirklichkeit das, was ihn so in Wut versetzt hat. Einmal fand er sogar noch genug Kraft, um aufzustehen und mich zu schlagen. Er hat mich dabei völlig mit Blut bespritzt. Dann habe ich's damit versucht, ihn anzuflehen. Ich sei sein kleines Mädchen. Er solle mich nicht verlassen. Ich habe zu ihm gesagt, ich wolle an seiner Stelle sterben. Es war mir sogar ernst damit. Achtjährige haben eine Menge Phantasie. Aber das hat auch zu nichts geführt. Ich war ja bloß eine Belastung für ihn, die er am Hals hatte. Wenn er nicht Frau und Tochter zu versorgen gehabt hätte, wäre ihm nicht so oft alles schiefgelaufen.« Lindens Sarkasmus war so schroff wie eine Grobheit. Jahrelang war sie abzustreiten bemüht gewesen, daß ihre Gefühle eine solche Kraft besaßen. »Seine Augen sind immer glasiger geworden. Ich war vollkommen verzweifelt. Ich versuchte noch, ihn mit Zorn unter Druck zu setzen, ich steigerte mich in einen richtigen Anfall hinein und sagte, wenn er stürbe, hätte ich ihn nicht mehr lieb. Das hat ihn irgendwie getroffen. Das letzte, was ich von ihm hörte, war: ›Du hast mich ja sowieso nie geliebt.‹« Und das war der Schlag gewesen, der sie für immer ans Kreuz ihres Entsetzens genagelt hatte. Auf der ganzen Welt gab es keine Worte, um ihn zu beschreiben. Aus den gesprungenen Dielen des Bodens und den verwahrlosten Wänden war eine Flut von Finsternis über sie hereingebrochen. Sie war nicht gegenwärtig; Linden vermochte nach wie vor klar zu sehen. Doch sie schwoll in ihrem Bewußtsein empor, wie beschworen durch das Selbstmitleid ihres Vaters – als wäre er, wie er damals dort mit ausgebreiteten Gliedmaßen in dem Schaukelstuhl im Sterben gelegen hatte, über sich selbst hinausgewachsen, sich durch pure Zurückweisung zu einer machtvollen Gestalt erhöht und die schwarze Bosheit der Alpträume herbeigerufen, damit sie sein Sterben bezeugten. Linden haftete in der zähflüssigen Mitternacht seiner Verdammnis, aus der sich für sie keinerlei Rettung fand.
    Und während sie darin versunken war, hatte sich sein Gesicht vor ihren Augen verändert. Sein Mund verzerrte sich, als müsse ihm ein Schrei entfahren; aber es wäre kein Schrei geworden – sondern Gelächter. Ein Triumph bösartigen Vergnügens, ohne Einschränkung und lautlos. Sein Mund hatte ihren

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