Der Einsatz
draußen. Sie waren zornig und einsam, bedürftig und geldgierig. Den einen hatten die Revolutionsgarden respektlos behandelt, der andere hatte nicht die erhoffte Beförderung erhalten. Einen widerte die Korruption seiner Vorgesetzten an, die Frau eines anderen hatte Krebs, der nur im Westen aussichtsreich behandelt werden konnte. Ein Vater wollte eine bessere Zukunft für seine Kinder, ein anderer hatte sein einziges Kind verloren und wollte seine innere Leere füllen. Einer war idealistisch, ein anderer habsüchtig. Der eine hatte eine Geliebte, die viel Geld brauchte, der andere war homosexuell. All diese Leute gab es da draußen, davon war Harry überzeugt. Er hatteganze Listen von möglichen Agenten, die seine Führungsoffiziere hätten anwerben können, wenn sie nur nahe genug an sie herangekommen wären.
Doch Harry konnte nicht ahnen, dass sich der passende Agent bereits gefunden hatte. Die E-Mail , die auf ihn hinwies, lag in Harrys Posteingang und wartete darauf, gelesen zu werden.
Als Harry nach Hause kam, war seine Frau Andrea nicht da. An drei Abenden in der Woche arbeitete sie ehrenamtlich in der griechisch-orthodoxen Kirche in McLean. Das war ihre Form der Trauerarbeit. Ihre gemeinsame Tochter Louise saß im Wohnzimmer und sah sich eine Wiederholung von
Sex and the City
an. Harry setzte sich eine Weile zu ihr und trank ein Bier, fühlte sich aber irgendwie nicht wohl dabei. Die Schauspielerinnen redeten die ganze Zeit über Penisse. Er gab seiner Tochter einen Gutenachtkuss und ging nach oben ins Schlafzimmer. Louise wirkte erleichtert. Jetzt konnte sie endlich in Ruhe fernsehen.
Harry legte sich ins Bett, doch er konnte nicht einschlafen. Er dachte an seinen Sohn, der 2004 im Irak gefallen war. Die CIA war Alex nicht hart genug gewesen, deshalb war er zu den Marines gegangen. «Bombe am Straßenrand», so lautete die Bildunterschrift unter seinem Foto, das die
Washington Post
in ihrer Galerie «Gesichter der Gefallenen» abgedruckt hatte. Es hatte fast wie ein Verkehrsunfall geklungen. Alex hatte wenigstens noch glauben können, dass er für eine gute Sache kämpfte, und eine Erkenntnis war ihm Gott sei Dank erspart geblieben: dass der Einsatz im Irak ein einziger, verdammterFehler war. Bei Harry war das anders. In dieser Nacht fand er kaum Schlaf, aber das war in letzter Zeit eigentlich immer so.
3 Washington
Am nächsten Morgen fuhr Harry Pappas wieder zu seinem Büro, wo er seinen Wagen auf dem extra für ihn reservierten Parkplatz in der Nähe des Eingangs abstellte. In letzter Zeit wurde er nur so mit Privilegien überhäuft, und alle waren ausgesucht nett zu ihm. Man behandelte ihn wie ein rohes Ei. Harry ging durch die elektronische Sperre am Haupteingang, ohne auf das Wachpersonal oder seine Kollegen zu achten, die wie er früh zur Arbeit kamen. Es war Viertel vor sieben, und die meisten anderen bemühten sich, möglichst frisch auszusehen, was bei Harry nicht der Fall war. Er steuerte direkt den Korridor C im Hauptgebäude der CI A-Zentrale an, der gleich hinter einem gläsernen Schaukasten mit einem alten grauen Spionage- U-Boot vom Hauptkorridor nach rechts abzweigte. Eine kurze Rampe führte hinauf zu einer mit einem elektronischen Schloss gesicherten Tür, neben der ein Schild an der Wand befestigt war. Darauf stand in einer Schrift, so klein, dass man sie kaum entziffern konnte: OPERATIONSZENTRALE IRAN, doch Harry und seine Mitarbeiter nannten ihren Wirkungsbereich nur das Persische Haus.
Harry öffnete die Tür und blickte in das überlebensgroße Gesicht des Imam Hussein, das ihn von einem farbenfrohen Plakat aus ansah. Harry hatte das Plakat während seinerStationierung in Bagdad gekauft und es gleich nach seiner Ernennung zum Chef des Persischen Hauses direkt über dem Empfangstisch aufgehängt. Es brachte jeden, der es zum ersten Mal sah, gehörig durcheinander, und genau das hatte Harry damit bezweckt. Er wollte damit seinen jungen Führungsoffizieren, die Teheran lediglich aus den Berichten lokaler Agenten kannten, immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass der Iran nicht Kansas war.
Es war ein in seiner billigen Machart fast schon grausig sentimentales Plakat von der Sorte, die gebildeten Iranern meist peinlich ist, und dennoch strahlte es die holzschnittartige Kraft naiver Volksreligion aus. Die Haut des Märtyrers war glatt und fein wie Reispapier, sein Haar glänzte schwarz und seidig wie das Fell eines Panthers, und seine dunklen, tränenfeuchten Augen blickten
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