Der Einsatz
unendlich milde drein, so als ahnten sie bereits die bevorstehende Tragödie. Dieses Gesicht erzählte von einer Wunde, die niemals heilen wird, vom Blut der Märtyrer, das wie ein ewig fließender Brunnen ist. Wenn Iraner in diese glänzenden Augen blickten, fingen sie vor Scham und Wut meist selbst zu weinen an. Husseins Geschichte war grausam: Der Nachfahr des Propheten und Imam der Schiiten war vom sunnitischen Kalifen Jasid I. in die Ebene von Kerbela gelockt und dort, von vielen seiner einstigen Anhänger im Stich gelassen, in einer blutigen Schlacht getötet worden. Viele Iraner erinnerten alljährlich an diesen schrecklichen Verrat, indem sie sich in einer kollektiven Hysterie selbst geißelten. Die grundlegende Botschaft blieb, dass die Geschichte eine einzige Verschwörung gegen die Schiiten darstellte. Wer konnte ihnen da verübeln, dass sie eine Gegenverschwörung anzettelten?
Jeden Morgen blieb Harry kurz vor dem Plakat stehen und versuchte, sich in die Köpfe von Menschen hineinzuversetzen, denen Ereignisse aus dem Jahr 680 so präsent waren, als wären sie erst gestern geschehen. Iraner wussten, was Leiden bedeutete. Sie wussten, wie schlimm es ist, wenn anständige junge Männer an den Täuschungen und Untaten anderer zugrunde gehen. Sie wussten, dass Anstand ein Hehl und Glück eine Illusion ist. Das hatte Harry mit ihnen gemeinsam.
Harry Pappas hatte nie Chef der Operationszentrale Iran werden wollen. Nach seiner Zeit in Bagdad hatte er gehofft, irgendwo in einem ruhigen Büro Unterschlupf zu finden oder in Frühpension gehen zu können wie die meisten seiner Freunde, um alles zu vergessen. Der Irak hatte ihn innerlich zerbrochen, aber nicht der große Krieg, der alle deprimierte, sondern die verzweifelte, private Trauer über einen persönlichen Verlust. Dass auch die CIA innerlich zerbrochen war, war nicht Harrys Problem. Zumindest wollte er nicht glauben, dass es sein Problem war.
Doch der Direktor persönlich hatte ihm den Posten gleich mehrfach angeboten, und einige seiner engsten Freunde hatten ihm erklärt, es sei seine Pflicht, dieses Angebot anzunehmen. Ein neues Debakel wie das im Irak könne nur dadurch verhindert werden, dass sich die richtigen Leute um den Iran kümmerten. Alle sagten Harry, er sei der Beste für den Job, nur er könne den jungen Agenten etwas beibringen. In seinem Schmerz über den Verlust seines Sohnes hatte auch das Harry zunächst nicht umstimmen können, doch dann riet ihm seine Frau Andrea, die neue Aufgabe anzunehmen. Nur so, meinte sie, könne er über den Verlust von Alex hinwegkommenund sein Andenken lebendig halten. Andernfalls würde er zugrunde gehen.
Also willigte Harry ein, und an seinem ersten Tag im neuen Amt hängte er das Bild des Imam Hussein auf. Es sollte ihn ständig daran erinnern, dass auch er in einem Land voller Schmerz und Verrat lebte.
Harrys Büro befand sich gleich hinter der massiven Eingangstür. Es gab dort einen großen Schreibtisch aus Eiche für ihn, eine schwere Ledercouch für seine Besucher und einen Konferenztisch im hinteren Teil des Raumes für Besprechungen mit seinen Mitarbeitern.
Der Raum hatte keine Fenster, und wenn die Tür zu war, kam er Harry vor wie eine farb- und lichtlose Grabkammer voll düsterer Geheimnisse. Obwohl er mehrere Kartons mit Fotos von seinen früheren Einsätzen besaß, hatte er keines davon aufgehängt. Harry war in seiner Dienstzeit viel herumgekommen. Er war in Tegucigalpa, Moskau, Beirut und Bagdad gewesen und hatte ein kurzes Intermezzo bei einer virtuellen Dienststelle absolviert, die den beziehungsreichen Namen «TehFran» trug – sie gaukelte nach außen vor, dass sie in Teheran liege, befand sich in Wirklichkeit aber in Frankfurt am Main. Harry hätte es bloß trübsinnig gemacht, sein früheres Leben an der Wand hängen zu sehen, deshalb ließ er die Bilder in den Kartons. Und was seine Orden und Urkunden von der CIA anbelangte, so hatte er sie alle miteinander in der Nacht nach der Beerdigung seines Sohnes zerstört.
Die meisten von Harrys Mitarbeitern, die in dem spartanischen Büro zur morgendlichen Besprechung zusammenkamen, waren noch halbe Kinder. Die CIA ähnelte zunehmend einer Universität mit ein paar alternden Professoren und vielen jungen Leuten, die, wenn es hoch kam, ein oder zwei Auslandseinsätze hinter sich hatten. Es gab keinen Mittelbau mehr, es gab nur oben und unten. Für Harry war das eher von Vorteil, denn viele der jungen Kollegen wussten noch nicht,
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