Der Einsatz
tat.
Die Botschaft, die der elektronische Besucher in das Formular eintrug, war so unscheinbar, dass man sie leicht übersehen konnte. Danach verschwand er wieder im Nirgendwo des Internets, ohne einen Hinweis darauf zu hinterlassen, weshalb er im Cyberspace Informationen preisgab, die ihn das Leben kosten konnten. Wären da nicht die paar Byte Computercode gewesen, hätte niemand sagen können, ob er überhaupt existierte.
Es war eine schwüle Nacht Ende Juni. Ein Gewitter war über der Stadt niedergegangen, und jetzt, kurz vor Morgengrauen, stieg feuchter Dunst zwischen den Bäumen auf, die das Hauptquartier der CIA umstanden. Die Handvoll Bürokräfte, die in der Nachtschicht die öffentliche Website der Agentur betreuten, waren bereits im Aufbruch. Seit dem frühen Abend hatten sie die eingehenden Mitteilungen bearbeitet, von denen die meisten alberne Scherze waren. Nur selten war eine dabei, die echte Informationen wie zum Beispiel eine Warnung vor einem bevorstehenden Terrorangriff enthielt. Die Angestellten waren müde, sie wollten hinaus zu ihren auf dem Braunen oder dem Gelben Parkplatz abgestellten Autos und nach Hause fahren.
Eine Afroamerikanerin namens Jana, die seit drei Jahren bei der CIA arbeitete, erkannte als Erste, wie wichtig die Mitteilung war. Dem Kollegen, der sie entgegengenommenund zur Überprüfung an sie weitergeleitet hatte, war entgangen, dass sie über einen Provider im Iran gekommen war. Es war schon spät, er war müde, und außerdem hatte er bereits Hunderte Mitteilungen bearbeitet.
Als Jana die Nachricht las, waren ihre Kollegen bereits auf dem Weg zur Tür. Sie sagte ihnen, dass sie noch etwas zu erledigen habe und gleich nachkommen werde. Jana war alleinerziehende Mutter, und wenn sie von der Nachtschicht nach Hause kam, würde sie ihrer Tochter das Frühstück machen und sie nach Fairfax zur Schule bringen. Sie war nur eine GS-9 und bisher nur ein einziges Mal – vor ihrer Scheidung – auf Auslandseinsatz gewesen, aber sie hatte einen untrüglichen Riecher dafür, welche elektronischen Nachrichten wichtig waren. Jana wusste, dass die seltsamen Menschen, die der CIA anonyme Botschaften schickten, nicht alle Spinner waren. Manche von ihnen kannten echte Geheimnisse, und sie waren wütend auf ihre Regierung, die Polizei oder auch nur auf ihren Chef am Ende des Flurs. Diese Leute kannten sich im Internet aus und wussten, wie sie eine Nachricht absetzen konnten, ohne dabei erwischt zu werden. Janas Abteilung hatte in den letzten Jahren mehrere Dutzend solcher elektronischen Kontaktaufnahmen aus China und ein halbes Dutzend aus Russland registriert. Aus dem Iran hatte es bisher noch keine gegeben. Deshalb blieb Jana im Büro.
Die Nachricht ergab auf den ersten Blick nicht allzu viel Sinn, denn sie bestand nur aus einer Liste von Datumsangaben und Zahlen. Vielleicht war sie ein technisches Dokument, vielleicht auch nur Unfug. Jana konnte das nicht beurteilen, aber sie wusste, dass die Mail von einem wichtigen Ort kam.
«Iranischer VÜ?» lautete der Betreff der Mail, mit der sie die Botschaft weiterleitete. VÜ war die Abkürzung für virtueller Überläufer. Sie schickte die Mail an die Nahost-Abteilung, an den Beamten, der im Büro des Director of National Intelligence für den Iran zuständig war, an das Information Operations Center, die I T-Abteilung der CIA, sowie an die Operative Iran-Abteilung. Unter diesen vielen Empfängern war einer, der die Mail besser nicht hätte erhalten sollen – aber wie hätte Jana das wissen können?
Eine der Mails ging an Harry Pappas, den neuen Leiter der Operativen Iran-Abteilung der CIA, der ihr aber zunächst keine Beachtung schenkte. Vor lauter Arbeit übersah er die Wellen in dem Teich, der seit Monaten still dagelegen hatte.
Harry war ein großer Mann in einer kleinen, aber immens wichtigen Abteilung. Man sah seinem Gesicht an, dass er gern lebte: ein großer, weicher Mund, wettergegerbte Wangen, deren tiefe Falten von vielen durchgearbeiteten Nächten zeugten, und dichtes, lockiges Haar, das die mattgraue Farbe verbrannter Holzkohle hatte. Das Auffälligste an ihm waren seine Augen, in denen man eine seltsame Mischung von unbezähmbarer Wildheit und tiefer Müdigkeit erkennen konnte. Er stammte aus Worcester in Massachusetts und war, nachdem er kurze Zeit in der Armee gedient hatte, in den achtziger Jahren als paramilitärischer Offizier zur CIA gekommen, um Contras in Nicaragua auszubilden. Damals sprach er ein schlechtes
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