Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
Befolgung man wohl sündhafter Weise zuweilen zu vergessen, dessen absoluten Wert aber zu leugnen man sich niemals getraut; dies ist das Gesetz der – Liebe , dem auch Diejenigen noch nicht untreu geworden sind, die gegen ihr Prinzip zu kämpfen scheinen und ihren Namen hassen; denn auch sie haben der Liebe noch, ja sie lieben inniger und geläuterter, sie lieben »den Menschen und die Menschheit.«
Formulieren Wir den Sinn dieses Gesetzes, so wird er etwa folgender sein: Jeder Mensch muß ein Etwas haben, das ihm über sich geht. Du sollst dein »Privatinteresse« hintansetzen, wenn es die Wohlfahrt Anderer, das Wohl des Vaterlandes, der Gesellschaft, das Gemeinwohl, das Wohl der Menschheit, die gute Sache u. dgl. gilt! Vaterland, Gesellschaft, Menschheit usw. muß Dir über Dich gehen, und gegen ihr Interesse muß dein »Privatinteresse« zurückstehen; denn Du darfst kein – Egoist sein.
Die Liebe ist eine weitgehende religiöse Forderung, die nicht etwa auf die Liebe zu Gott und den Menschen sich beschränkt, sondern in jeder Beziehung obenansteht. Was Wir auch tun, denken, wollen, immer soll der Grund davon die Liebe sein. So dürfen Wir zwar urteilen, aber nur »mit Liebe«. Die Bibel darf allerdings kritisiert werden und zwar sehr gründlich, aber der Kritiker muß vor allen Dingen sie lieben und das heilige Buch in ihr sehen. Heißt dies etwas anderes als: er darf sie nicht zu Tode kritisieren, er muß sie bestehen lassen, und zwar als ein Heiliges, Unumstößliches? – Auch in unserer Kritik über Menschen soll die Liebe unveränderter Grundton bleiben. Gewiß sind Urteile, welche der Haß eingibt, gar nicht unsere eigenen Urteile, sondern Urteile des Uns beherrschenden Hasses, »gehässige Urteile«. Aber sind Urteile, welche Uns die Liebe eingibt, mehr unsere eigenen ? Sie sind Urteile der Uns beherrschenden Liebe, sind »liebevolle, nachsichtige« Urteile, sind nicht unsere eigenen , mithin gar nicht wirkliche Urteile. Wer vor Liebe zur Gerechtigkeit brennt, der ruft aus: fiat iustitia, pereat mundus. Er kann wohl fragen und forschen, was denn die Gerechtigkeit eigentlich sei oder fordere und worin sie bestehe, aber nicht, ob sie etwas sei.
Es ist sehr wahr »Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm«. (1. Joh. 4, 16.) Der Gott bleibt in ihm, er wird ihn nicht los, wird nicht gottlos, und er bleibet in Gott, kommt nicht zu sich und in seine eigene Heimat, bleibt in der Liebe zu Gott und wird nicht lieblos.
»Gott ist die Liebe! Alle Zeit und alle Geschlechter erkennen in diesem Worte den Mittelpunkt des Christentums.« Gott, der die Liebe ist, ist ein zudringlicher Gott: er kann die Welt nicht in Ruhe lassen, sondern will sie beseligen. »Gott ist Mensch geworden, um die Menschen göttlich zu machen.« Er hat seine Hand überall im Spiele, und nichts geschieht ohne sie; überall hat er seine »besten Absichten«, seine »unbegreiflichen Pläne und Ratschlüsse«. Die Vernunft, welche er selbst ist, soll auch in der ganzen Welt befördert und verwirklicht werden. Seine väterliche Fürsorge bringt Uns um alle Selbständigkeit. Wir können nichts Gescheites tun, ohne daß es hieße: das hat Gott getan! und können Uns kein Unglück zuziehen, ohne zu hören: das habe Gott verhängt; Wir haben nichts, was Wir nicht von ihm hätten: er hat alles »gegeben«. Wie aber Gott, so macht's der Mensch. Jener will partout die Welt beseligen , und der Mensch will sie beglücken , will alle Menschen glücklich machen. Daher will jeder »Mensch« die Vernunft, welche er selbst zu haben meint, in Allen erwecken: Alles soll durchaus vernünftig sein. Gott plagt sich mit dem Teufel und der Philosoph mit der Unvernunft und dem Zufälligen. Gott läßt kein Wesen seinen eigenen Gang gehen, und der Mensch will Uns gleichfalls nur einen menschlichen Wandel führen lassen.
Wer aber voll heiliger (religiöser, sittlicher, humaner) Liebe ist, der liebt nur den Spuk, den »wahren Menschen«, und verfolgt mit dumpfer Unbarmherzigkeit den Einzelnen, den wirklichen Menschen, unter dem phlegmatischen Rechtstitel des Verfahrens gegen den »Unmenschen«. Er findet es lobenswert und unerläßlich, die Erbarmungslosigkeit im herbsten Maße zu üben; denn die Liebe zum Spuk oder Allgemeinen gebietet ihm, den nicht Gespenstischen, d. h. den Egoisten oder Einzelnen, zu hassen; das ist der Sinn der berühmten Liebeserscheinung, die man »Gerechtigkeit« nennt.
Der peinlich Angeklagte hat keine Schonung zu
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