Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
Vernunftgesetze bestimmt sich der Mensch aus sich selbst, denn »der Mensch« ist vernünftig, und aus dem »Wesen des Menschen« ergeben sich jene Gesetze mit Notwendigkeit. Frömmigkeit und Sittlichkeit scheiden sich darin voneinander, daß jene Gott, diese den Menschen zum Gesetzgeber macht.
Von einem gewissen Standpunkte der Sittlichkeit aus räsoniert man etwa so: Entweder treibt den Menschen seine Sinnlichkeit, und er ist, ihr folgend, unsittlich , oder es treibt ihn das Gute, welches, in den Willen aufgenommen, sittliche Gesinnung (Gesinnung und Eingenommenheit für das Gute) heißt: dann beweist er sich als sittlich . Wie läßt sich von diesem Gesichtspunkte aus z. B. die Tat Sands gegen Kotzebue unsittlich nennen? Was man so unter uneigennützig versteht, das war sie doch gewiß in demselben Maße als unter anderem die Diebereien des heiligen Crispin zu Gunsten der Armen. »Er hätte nicht morden sollen, denn es stehet geschrieben: Du sollst nicht morden!« Also dem Guten zu dienen, dem Volkswohl, wie Sand wenigstens beabsichtigte, oder dem Wohl der Armen, wie Crispin, das ist sittlich; aber der Mord und Diebstahl ist unsittlich: der Zweck sittlich, das Mittel unsittlich. Warum? »Weil der Mord, der Meuchelmord etwas absolut Böses ist.« Wenn die Guerillas die Feinde des Landes in Schluchten verlockten und sie ungesehen aus den Büschen niederschossen, so war das etwa kein Meuchelmord? Ihr könntet dem Prinzip der Sittlichkeit nach, welches befiehlt, dem Guten zu dienen, doch nur fragen, ob der Mord nie und nimmer eine Verwirklichung des Guten sein könne, und müßtet denjenigen Mord anerkennen, der das Gute realisierte. Ihr könnt die Tat Sands gar nicht verdammen: sie war sittlich, weil im Dienst des Guten, weil uneigennützig; sie war ein Strafakt, den der Einzelne vollzog, eine mit Gefahr des eigenen Lebens vollzogene – Hinrichtung . Was war am Ende sein Unterfangen anders gewesen, als daß er Schriften durch rohe Gewalt unterdrücken wollte? Kennt Ihr dasselbe Verfahren nicht als ein »gesetzliches« und sanktioniertes? Und Was läßt sich aus Eurem Prinzip der Sittlichkeit dagegen einwenden? – »Aber es war eine widergesetzliche Hinrichtung.« Also das Unsittliche daran war die Ungesetzlichkeit, der Ungehorsam gegen das Gesetz? So räumt Ihr ein, daß das Gute nichts anders ist, als das – Gesetz, die Sittlichkeit nichts anders als Loyalität . Es muß auch bis zu dieser Äußerlichkeit der »Loyalität« Eure Sittlichkeit heruntersinken, bis zu dieser Werkheiligkeit der Gesetzerfüllung, nur daß die letztere zugleich tyrannischer und empörender ist, als die einstige Werkheiligkeit. Denn bei dieser bedurfte es nur der Tat , Ihr aber braucht auch die Gesinnung : man soll das Gesetz, die Satzung in sich tragen, und wer am gesetzlichsten gesinnt ist, der ist der Sittlichste. Auch die letzte Heiterkeit des katholischen Lebens muß in dieser protestantischen Gesetzlichkeit zu Grunde gehen. Hier endlich erst vollendet sich die Gesetzesherrschaft. Nicht »Ich lebe, sondern das Gesetz lebt in Mir«. So bin Ich denn wirklich so weit gekommen, nur das »Gefäß seiner (des Gesetzes) Herrlichkeit« zu sein. »Jeder Preuße trägt seinen Gensd'armen in der Brust« – sagt ein hoher preußischer Offizier.
Warum wollen gewisse Oppositionen nicht gedeihen? Lediglich aus dem Grunde, weil sie die Bahn der Sittlichkeit oder Gesetzlichkeit nicht verlassen wollen. Daher die maßlose Heuchelei von Ergebenheit, Liebe usw., an deren Widerwärtigkeit man sich täglich den gründlichsten Ekel vor diesem verdorbenen und heuchlerischen Verhältnis einer »gesetzlichen Opposition« holen kann. – In dem sittlichen Verhältnis der Liebe und Treue kann ein zwiespältiger, ein entgegengesetzter Wille nicht stattfinden; das schöne Verhältnis ist gestört, wenn der Eine dies und der Andere das Umgekehrte will. Nun soll aber nach der bisherigen Praxis und dem alten Vorurteil der Opposition das sittliche Verhältnis vor Allem bewahrt werden. Was bleibt da der Opposition übrig? Etwa dies, eine Freiheit zu wollen, wenn der Geliebte sie abzuschlagen für gut findet? Mit nichten! Wollen darf sie die Freiheit nicht; sie kann sie nur wünschen , darum »petitionieren«, ein »Bitte, bitte!« lallen. Was sollte daraus werden, wenn die Opposition wirklich wollte , wollte mit der vollen Energie des Willens? Nein, sie muß auf den Willen Verzicht leisten, um der Liebe zu leben, auf die Freiheit – der Sittlichkeit zu Liebe. Sie
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