Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
angeborene Rechte, Rechte, die von meinen Eltern her durch die Geburt auf Mich gekommen sind? Ihr meint: nein; Ihr meint, dies seien nur mißbräuchlich sogenannte Rechte, es seien eben jene Rechte, welche Ihr durch das wirklich angeborene Recht abzuschaffen trachtet. Dies zu begründen, geht Ihr auf das Einfachste zurück und behauptet, Jeder sei durch die Geburt dem Andern gleich , nämlich ein Mensch . Ich will Euch zugeben, daß Jeder als Mensch geboren werde, mithin die Neugeborenen einander darin gleich seien. Warum sind sie's? Nur deshalb, weil sie sich noch als nichts Anderes zeigen und betätigen, als eben als bloße – Menschenkinder , nackte Menschlein. Dadurch sind sie aber sogleich verschieden von denen, welche bereits etwas aus sich gemacht haben und nicht mehr bloße »Menschenkinder« sind, sondern – Kinder ihrer eigenen Schöpfung. Die letzteren besitzen mehr als bloß angeborene Rechte: sie haben Rechte erworben . Welch' ein Gegensatz, welch' ein Kampffeld! Der alte Kampf der angeborenen Menschenrechte und der wohlerworbenen Rechte. Beruft Euch immerhin auf eure angeborenen Rechte; man wird nicht ermangeln, die wohlerworbenen Euch entgegenzustellen. Beide stehen auf dem »Rechtsboden«; denn jeder von beiden hat ein »Recht« gegen den Andern, der Eine das angeborene oder natürliche, der Andere das erworbene oder »wohlerworbene«.
Bleibt Ihr auf dem Rechtsboden, so bleibt Ihr bei der – Rechthaberei. Der Andere kann Euch euer Recht nicht geben, er kann Euch nicht »Recht widerfahren lassen«. Wer die Gewalt hat, der hat – Recht; habt Ihr jene nicht, so habt Ihr auch dieses nicht. Ist diese Weisheit so schwer zu erlangen? Seht doch die Gewaltigen und ihr Tun an! Wir reden hier natürlich nur von China und Japan. Versucht's einmal, Ihr Chinesen und Japanesen, ihnen Unrecht zu geben, und erfahrt's, wie sie Euch in den Kerker werfen. (Verwechselt damit nur nicht die »wohlmeinenden Ratschläge«, die – in China und Japan – erlaubt sind, weil sie den Gewaltigen nicht hemmen, sondern, möglicherweise, fördern .) Wer ihnen Unrecht geben wollte, dem stünde dazu nur Ein Weg offen, der der Gewalt. Bringt er sie um ihre Gewalt , dann hat er ihnen wirklich Unrecht gegeben, hat sie um ihr Recht gebracht; im andern Falle kann er nichts, als ein Fäustchen in der Tasche machen, oder als ein vorlauter Narr zum Opfer fallen.
Kurz, fragtet Ihr Chinesen und Japanesen nicht nach dem Rechte, fragtet namentlich nicht nach dem Rechte, »das mit Euch geboren ist«, dann brauchtet Ihr auch nichts nach den wohlerworbenen Rechten zu fragen.
Ihr schreckt vor den Andern zurück, weil Ihr neben ihnen das Gespenst des Rechtes zu sehen glaubt, das, wie in den homerischen Kämpfen, als Göttin an ihrer Seite helfend mitzufechten scheint. Was tut Ihr? Werft Ihr den Speer? Nein, Ihr schleicht umher, um den Spuk für Euch zu gewinnen, damit er auf eurer Seite mitfechte: Ihr buhlt um die Gunst des Gespenstes. Ein Anderer früge einfach so: Will Ich, was der Gegner will? »Nein!« Nun, so mögen tausend Teufel oder Götter für ihn kämpfen, Ich schlage doch drauf los!
Der »Rechtsstaat«, wie ihn unter Andern die Vossische Zeitung vertritt, verlangt, daß die Beamten nur durch den Richter ihres Amtes sollen entsetzt werden können, nicht durch die Administration . Eitle Illusion. Wenn gesetzlich bestimmt würde, ein Beamter, der einmal trunken gesehen wird, soll sein Amt verlieren, so müßte der Richter auf Aussage der Zeugen ihn verurteilen usw. Kurz, der Gesetzgeber dürfte nur alle möglichen Gründe genau angeben, welche den Verlust des Amtes nach sich ziehen, möchten sie auch noch so lächerlich sein (z. B. wer seinen Vorgesetzten ins Gesicht lacht, wer nicht sonntäglich in die Kirche geht, wer nicht alle vier Wochen zum Abendmahl geht, wer Schulden macht, wer unanständigen Umgang hat, wer keine Entschlossenheit zeigt usw., soll entsetzt werden. Diese Dinge könnte der Gesetzgeber z. B. bei einem Ehrengerichte aufzustellen sich einfallen lassen), so hätte der Richter lediglich zu untersuchen, ob Beklagter sich jene »Vergehen« habe »zu Schulden kommen lassen«, und müßte nach erfolgtem Beweis gegen ihn »von Rechts wegen« die Absetzung aussprechen.
Der Richter ist verloren, wenn er aufhört, mechanisch zu sein, wenn er »von den Beweisregeln verlassen wird«. Dann hat er nur noch eine Meinung, wie jeder Andere, und entscheidet er nach dieser Meinung , so ist das keine Amtshandlung mehr; er darf als
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