Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
despotisiere Einer den Andern. Es ist dies nämlich dann der Fall, wenn das jedesmal gegebene Gesetz, die ausgesprochene Willensmeinung etwa einer Volksversammlung fortan für den Einzelnen Gesetz sein soll, dem er Gehorsam schuldig ist, oder gegen welches er die Pflicht des Gehorsams hat. Dächte man sich auch selbst den Fall, daß jeder Einzelne im Volke den gleichen Willen ausgesprochen hätte und hiedurch ein vollkommener »Gesamtwille« zu Stande gekommen wäre: die Sache bliebe dennoch dieselbe. Wäre Ich nicht an meinen gestrigen Willen heute und ferner gebunden? Mein Wille in diesem Falle wäre erstarrt . Die leidige Stabilität ! Mein Geschöpf, nämlich ein bestimmter Willensausdruck, wäre mein Gebieter geworden. Ich aber in meinem Willen, Ich, der Schöpfer, wäre in meinem Flusse und meiner Auflösung gehemmt. Weil Ich gestern ein Narr war, müßte Ich's zeitlebens bleiben. So bin Ich im Staatsleben besten Falls – Ich könnte ebensogut sagen: schlimmsten Falls – ein Knecht Meiner selbst. Weil Ich gestern ein Wollender war, bin Ich heute ein Willenloser, gestern freiwillig, heute unfreiwillig.
Wie zu ändern? Nur dadurch, daß Ich keine Pflicht anerkenne, d. h. Mich nicht binde oder binden lasse. Habe Ich keine Pflicht, so kenne Ich auch kein Gesetz.
»Allein man wird Mich binden!« Meinen Willen kann Niemand binden, und mein Widerwille bleibt frei.
»Es müßte ja Alles drunter und drüber gehen, wenn Jeder tun könnte, was er wollte!« Wer sagt denn, daß Jeder Alles tun kann? Wozu bist Du denn da, der Du nicht Alles Dir gefallen zu lassen brauchst? Wahre Dich, so wird Dir Keiner was tun! Wer deinen Willen brechen will, der hat's mit Dir zu tun und ist dein Feind . Verfahre gegen ihn als solchen. Stehen hinter Dir zum Schutze noch einige Millionen, so seid Ihr eine imposante Macht und werdet einen leichten Sieg haben. Aber wenn Ihr dem Gegner auch als Macht imponiert, eine geheiligte Autorität seid Ihr darum doch nicht, er müßte denn ein Schächer sein. Respekt und Achtung ist er Euch nicht schuldig, wenn er sich auch vor eurer Gewalt in Acht nehmen wird.
Wir pflegen die Staaten nach der verschiedenen Art, wie »die höchste Gewalt« verteilt ist, zu klassifizieren. Hat sie ein Einzelner – Monarchie, Alle – Demokratie usw. Also die höchste Gewalt! Gewalt gegen wen? Gegen den Einzelnen und seinen »Eigenwillen«. Der Staat übt »Gewalt«, der Einzelne darf dies nicht. Des Staates Betragen ist Gewalttätigkeit, und seine Gewalt nennt er »Recht«, die des Einzelnen »Verbrechen«. Verbrechen also, so heißt die Gewalt des Einzelnen, und nur durch Verbrechen bricht er die Gewalt des Staates, wenn er der Meinung ist, daß der Staat nicht über ihm, sondern er über dem Staate sei.
Nun könnte Ich, wollte Ich lächerlich handeln, als ein Wohlmeinender Euch ermahnen, keine Gesetze zu geben, welche meine Selbstentwicklung, Selbsttätigkeit, Selbstschöpfung beeinträchtigen. Ich gebe diesen Rat nicht. Denn würdet Ihr ihn befolgen, so wäret Ihr unklug, und Ich wäre um meinen ganzen Gewinn betrogen. Von Euch verlange Ich gar nichts, denn, was Ich auch forderte, Ihr würdet doch gebieterische Gesetzgeber sein und müßt es sein, weil ein Rabe nicht singen, ein Räuber ohne Raub nicht leben kann. Vielmehr frage Ich diejenigen, welche Egoisten sein wollen, was sie für egoistischer halten, sich von Euch Gesetze geben zu lassen, und die gegebenen zu respektieren, oder Widerspenstigkeit , ja völligen Ungehorsam zu üben. Gutmütige Leute meinen, die Gesetze müßten nur das vorschreiben, was im Gefühl des Volkes als recht und billig gelte. Was aber geht Mich's an, was im Volke und dem Volke gilt? Das Volk wird vielleicht gegen den Gotteslästerer sein; also ein Gesetz gegen Gotteslästerung. Soll Ich darum nicht lästern? Soll Mir dies Gesetz mehr sein, als ein »Befehl«? Ich frage!
Lediglich aus dem Grundsatze, daß alles Recht und alle Gewalt der Gesamtheit des Volkes angehöre, gehen sämtliche Regierungsweisen hervor. Denn keine derselben ermangelt dieser Berufung auf die Gesamtheit, und der Despot so gut als der Präsident oder irgend eine Aristokratie usw. handeln und befehlen »im Namen des Staates«. Sie sind im Besitze der »Staatsgewalt«, und es ist völlig gleichgültig, ob, wäre dies möglich, das Volk als Gesamtheit alle Einzelnen, oder ob nur die Repräsentanten dieser Gesamtheit, seien deren Viele, wie in Aristokratien, oder Einer, wie in Monarchien, diese Staats –Gewalt
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