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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Zimmers, an sein Bett getreten: Aber Gustäving schlief ruhig. Er lag auf der Seite. Eine knochige, bläuliche Schulter sah aus dem Hemd. Sacht zog sie die Decke darüber. Die Nase war viel zu scharf und spitz in dem Kindergesicht, die Ärmchen waren dürr wie Stecken, kein Gramm Fleisch schien auf ihnen zu sein.
    Sie sah das alles, wie sie es hundertmal in der letzten Zeit gesehen hatte, wie sie Monat für Monat, Woche für Woche ihr Kind so hatte werden sehen. Sie seufzte, stopfte die Decke noch einmal fest um den mageren Kinderkörper, mit einem Gefühl hilfloser Ergebenheit. Dann kehrte sie in die Bettwärme zurück.
    Sie versuchte wieder einzuschlafen. Es war erst zwei Uhr nachts. Sie lag und lauschte auf den Wind, der an den Fenstern im fünften Stock so heulte und rüttelte, als wohne sie nicht in der großen Steinstadt Berlin, sondern weit draußen auf dem flachen Lande, wo die Häuser ungeschützt den Stürmen preisgegeben sind.
    Sie erinnerte sich genau, wie der Wind heulte und rüttelte an dem kleinen Elternhaus auf Hiddensee. Wie sie als Kinderwach lagen und lauschten, wie sich das Donnern der Brandung am nahen Westrand der Insel in den Sturmlärm mischte, und wie sie immer daran dachten, daß jetzt der Vater draußen war in seinem Boot, auf Heringsfang vor Arkona oder nach Schollen im Achterwasser. Sie erinnerte sich, wie sie flüsternd in ihren Betten miteinander von ihren großen kleinen Kindergeschehnissen gesprochen hatten, vom Bernstein oder den Hütegänsen, aber nie vom Vater, der draußen war. Das verbot ihnen eine tiefe, abergläubische Scheu. Aber sie dachten immer an ihn, und dieses ständige Denken schien dem Sturm fast etwas Persönliches zu geben, als sei er ein böser Feind, der Vater nachstellte, dem man nicht erzählen durfte, daß Vater draußen war.
    Es ist ein weiter Weg von dem armen Fischerhaus auf Hiddensee bis zu der volkreichen Mietskaserne im Osten der großen Stadt Berlin. Es ist auch ein weiter Weg von dem kleinen ängstlichen Fischermädchen bis zu der Schneiderin, die kaum noch Angst hat, sondern im tiefsten ergeben ist in das, was ihr Gott schickt. Ein weiter Weg, eine ungeheure Wandlung. Aber doch, die Gertrud Gudde, die jetzt um zwei Uhr nachts nahe dem Bett ihres schlafenden Kindes wach liegt, empfindet wieder etwas von der abergläubischen Angst, wenn sie auf den Wind horcht. Sie möchte einschlafen, sie will nicht daran denken, sie will es dem Sturm nicht sagen. Aber der Schlaf kommt nicht, das Herz klopft so traurig langsam, die Trübe der kalten Nacht ist nicht nur um sie, sie ist ebenso in ihr.
    Ist es nicht derselbe Wind – der Wind vor ihren Fenstern und der Wind über Frankreich? Ist nicht auch für jene dort Sturm? Ist nicht wieder wie ehemals, lange vormals, ein Mann von ihr draußen, nach dem Vater der Geliebte, der Vater ihres Kindes?
    Alles wie ehemals, alles wie eh und je! Sie steckt den Kopf in die Kissen, sie will nicht daran denken. Unheil! Otto hat seit zwei Wochen nicht mehr geschrieben – genau wie es früher war, wenn ein Fischerboot nicht zurückkam, und Frau undKinder, das ganze Dorf wartete auf Nachricht, hoffte und harrte … Es gab ja Fischerboote, die der Sturm bis nach Finnland verschlug, es konnte eine lange Zeit dauern, bis Nachricht eintraf.
    Und dann waren sie längst tot gewesen! Während sie daheim noch hofften und harrten, waren die draußen längst tot gewesen, verdorben und gestorben! Über zwei Wochen hatte Otto nicht mehr geschrieben! Und jetzt – der Sturm mag heulen und rütteln, soviel er will! –, jetzt erinnert sie sich, sie ist nicht davon aufgewacht, daß Gustäving nach ihr rief. Eine andere Stimme hatte sie angerufen …
    Sie hatte eine Zeitung in der Hand gehalten, sie hatte eine Nachricht gesucht. Angstvoll blätterte sie die Zeitung um, Seite um Seite. Aber von jeder Seite hatten sie nur die unzähligen, schwarzumränderten Todesanzeigen angesehen, die alle Zeitungen füllten: »Den Heldentod für sein Vaterland starb …« Und darüber das Gefallenenkreuz.
    Seite auf Seite umgeblättert und nichts wie diese Anzeigen. Plötzlich weiß sie, daß sie keine Nachricht sucht, daß sie die Anzeige sucht: »Den Heldentod für sein Vaterland starb Otto Hackendahl …«
    Und sie erschrickt namenlos und sagt sich: Ich suche doch nicht
die
Anzeige! Er lebt ja, er hat mir grade erst geschrieben, daß er zum Unteroffizier befördert ist … Ich will die Namen gar nicht lesen!
    Doch sie liest die Namen nur hastiger, es ist, als

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