Der eiserne Gustav
Ladentür.
»Neunzehn«, sagte die Frau vor ihr.
»Dann werde ich ja wohl noch etwas abbekommen«, meinte sie hoffnungsvoll.
»Das weiß man nicht, wieviel Schweine er zugeteilt bekommt«, sagte die Frau vor ihr. »Aber das hilft nun nichts – das Hoffen haben sie uns ja immer noch nicht verboten!«
Es klang unsäglich bitter, wie diese Frau es sagte. Nicht nur vom eisigen Wind schaudernd, steckte Gertrud Gudde die Hände tief in die Manteltaschen und stellte sich auf die Zehenspitzen. Hielt man es länger aus, nur auf den Zehenspitzen zu stehen, so froren die Füße nicht so. Und sie mußte es lange aushalten, um acht Uhr erst machte der Fleischer seinen Laden auf.
Eine Weile stand sie so, frierend; die nur mühsam vertriebene Müdigkeit kehrte zurück. Aber sie brachte keinen Schlaf, sondern nur trübe, finstere Gedanken. Sie suchte sich vorzustellen, was sie beim Fleischer bekommen würde: ein gutes Stück Kopf oder nur ein paar Abfallknochen, fast ohne Fleisch. Es war Glückssache – und meistens hatte sie kein Glück. Alle Menschen waren voreingenommen gegen einen Buckel. Aber man mußte es nehmen, wie es kam: Es war doch, so wenig es auch sein mochte, Fleisch ohne Karten, Abfallknochen, Zeug, das der Fleischer anders nicht verwerten konnte. Es gab den Steckrüben einen besseren Geschmack!
»Was mag die Uhr wohl schon sein?« fragte die Frau vorn.
»Fünf Minuten nach halb sechs!« antwortete Gertrud Gudde.
»Und meine Füße sind schon jetzt wie Eis! Das halte ichnicht bis acht durch. Passen Sie ein bißchen auf meinen Platz auf? Ich habe achtzehn.«
Gertrud stimmte zu, aber die Frau verhandelte noch mit der vor ihr. Es war zu schlimm, wenn man seinen Platz verlor, wenn man ganz umsonst früh aufgestanden war und gefroren hatte. Man mußte sich erst bei beiden Nachbarn sichern.
Dann aber lief die Frau los, sie hatte nur Holzschuhe an, die Holzsohlen klappten laut auf dem Pflaster. Sie lief die Straße auf und ab, manchmal blieb sie stehen und schlug die Arme fest gegen den Leib. Aber niemand machte einen Witz, nur eine sagte gedankenvoll: »Wenn man Kräfte genug hat, es länger zu tun, wird man schön warm davon!«
Dann schwiegen wieder alle.
Nach einer Weile kam die Frau zurück. »So«, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen ganz anderen Klang. »Jetzt halte ich es wieder eine Weile aus. Wollen Sie auch? Ich sorge schon für Ihren Platz.«
Aber Gertrud Gudde schüttelte den Kopf. »Nein, danke«, sagte sie leise. Nicht, daß sie nicht fror, aber sie scheute sich, mit ihrer Mißgestalt vor den anderen herumzulaufen. Sie waren ja alle arme geschlagene Weiber, aber es gab doch immer welche, die in aller Armut noch über den Ärmeren spotteten.
Und dann hatte sie wirklich Angst um ihren Platz, es standen jetzt schon so viele hinter ihr! Es war unmöglich, daß der Fleischer Knochen für alle hatte. Und jetzt war es erst sechs! Sie flehte, daß doch gegen acht ein Schutzmann vorüberkommen und die Leute schubweise in den Laden lassen würde. Sonst gab es einen Wirbel, wenn die Ladentür aufgemacht wurde, und sie wurde von den Stärkeren nach hinten gedrängt!
Hinter ihr unterhielten sich jetzt zwei mit lauten, scharfen Stimmen über eine neue Bestimmung wegen des Urlaubs von der Front. »Es ist wahr«, sagte die eine, »du kannst es mir glauben: Für jeden Goldfuchs, den du hier in der Heimat ablieferst, kriegt dein Mann einen Tag Urlaub.«
»So was werden sie doch nicht machen!« antwortete die andere. »Das wäre doch nur was für die Reichen! Im Schützengraben draußen sind doch wenigstens alle gleich!«
»Für die Reichen, sagst du?« fragte die erste Stimme wieder erbittert. »Für die Schieber und Hamster, meinst du! Wer anständig war, hat sein Gold doch längst abgeliefert, als es hieß ›Gold gab ich für Eisen‹! Ja, Scheiße – die Anständigen sind wieder mal die Dummen! Aber es gibt ihrer noch genug, die Gold im Strumpf haben. Die kriegen ihren Mann, für zehn Tage, für vierzehn Tage, für drei Wochen … und in der Zeit fällt vielleicht grade dein Mann …«
»Das machen sie nicht«, sagte wieder die andere, aber sie sagte es unsicher. »Das wäre doch keine Gerechtigkeit.«
»Gerechtigkeit!« rief die andere fast rasend. »Red doch bloß nicht solchen Stuß! Gerechtigkeit! Wer mag denn so ein Wort in den Mund nehmen! Wo siehste denn Gerechtigkeit? Gold her – und du kannst mit deinem Mann ins Bett gehen. Kein Gold – ei du liebe Scheiße!«
»Die Leute reden soviel
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