Der Eiserne Rat
»Weiter«, befahl er und winkte mit dem Revolver. Der Steuermann trat den Rückzug an.
»Wir nicht hin«, sagte er. Unvermittelt kippte er nach hinten, über die Reling und ins Wasser. Alle fuhren auf und schrien.
»Da!« Pomeroy zeigte mit dem Revolver. Der Steuermann war aufgetaucht und schwamm zu einer der Inseln hin. Pomeroy folgte ihm mit dem Lauf, drückte aber nicht ab.
»Gottschiet«, fluchte er, als der Mann ans Ufer kletterte. »Die anderen sind nur deshalb nicht hinterhergesprungen, weil sie nicht schwimmen können.« Er deutete mit dem Kopf auf die jubelnde Crew.
»Sie werden sich mit bloßen Händen zur Wehr setzen, wenn wir sie zwingen wollen«, gab Ihona zu bedenken. »Schau sie dir an. Uns allen ist klar, dass wir sie nicht erschießen werden. Wir können nur eins tun.«
Folgerichtig, in lächerlicher Umkehrung der Verhältnisse, brachten die Entführer die Mannschaft zur Insel. Pomeroy wedelte mit dem Revolver, um der Aktion den Anschein einer drakonischen Bestrafung zu verleihen, in Wirklichkeit jedoch gaben sie den Seeleuten die Freiheit und statteten sie sogar mit Proviant aus. Der Kapitän schaute kummervoll zu. Auf ihn konnten sie nicht verzichten.
Cutter war außer sich. »Zu verdammt weich!«, brüllte er seine Freunde an. »Ihr hättet zu Hause bleiben sollen, wenn ihr kein Blut sehen könnt!«
»Was schlägst du denn vor, Cutter?«, schrie Ihona zurück. »Bring sie dazu, dass sie an Bord bleiben, wenn du kannst. Du hast auch nicht den Mumm, sie kalten Blutes ins Jenseits zu befördern. Ja, vielleicht hätten wir zu Hause bleiben sollen. Dann wäre zum Beispiel Drey noch am Leben.« Pomeroy machte ein finsteres Gesicht. Elsie und Fejh mieden Cutters Blick. Er bekam es plötzlich mit der Angst zu tun.
»Nun kommt schon.« Er bemühte sich, nicht beschwörend oder gar herablassend zu klingen. »Kommt schon. Wir schaffen das. Wir finden ihn. Diese verfluchte Reise wird ein Ende haben.«
»Für jemanden, der sich sonst aus allem heraushält«, sagte Ihona, »riskierst du eine Menge für diese Sache. Nimm dich in Acht, die Leute könnten denken, du bist nicht der, für den du dich selbst gern hältst.«
Der Dradscale war ein breiter Strom. Bäche und Rinnsale ergossen sich hinein, brachten lehmiges Wasser mit. Sein Lauf war schnurgerade, so weit sie sehen konnten.
Am Ostufer erhoben sich verdorrte Hügel hinter den Mangroven, eine windgepeitschte Einöde aus gebackenem Lehm, und weit dahinter lag Shankell, die Kaktusstadt. An der Westseite wirkte die Landschaft noch abweisender. Schroffe Felszacken ragten über den Gezeitenwald hinaus. Ein lebensfeindliches Karstgebiet, ein unglaublicher Verhau scharfgratiger Steinzähne. Cutters ungenauen Dokumenten zufolge, hatte es eine Ausdehnung von einhundert Meilen. Die Karten waren übersät mit Notizen von Forschern und Entdeckern. Teufelskrallen, stand da und etwas darüber: Drei tot. Mussten umkehren.
Es gab Vögel, Störche, die mit hochgezogenen Schultern in der Haltung von Schurken einherstolzierten. Sie flogen mit behäbigen Flügelschlägen, als müssten sie gegen eine dauernde Müdigkeit ankämpfen. Cutter hätte nicht für möglich gehalten, dass die Sonne eine derartige Gewalt haben könnte. Alle litten darunter, Fejh aber, naturgemäß, am meisten. Immer und immer wieder suchte er Zuflucht in seinem stinkenden Fass. Als endlich das Wasser um die Akif salzlos war, stürzte er sich erleichtert hinein und füllte seinen Behälter neu. Sehr lange wagte er sein Bad nicht auszudehnen: Diese Gewässer waren ihm fremd.
Der Mann, dem sie folgten, musste ein Auslöser von Veränderungen gewesen sein. Cutter suchte entlang der Ufer nach Hinweisen darauf, dass er dort gewesen war.
Sie dampften durch die Nacht, verkündeten ihre Anwesenheit mit Rußwolken und dem Tuckern des Motors. Im harten roten Licht der Morgendämmerung schienen die mit der Strömung tändelnden Blätter und Ranken zu zerlaufen, rinnende Farbe, in Schmelzwasser tröpfelnde Materie.
Die Sonne stand tief, als der Dradscale sich verbreiterte und in ein Sumpfgebiet überging. Hier endete auch die Felsenwüste, in unheimlichen Fingerknochen aus Stein. Die Akif verlor Fahrt. Minutenlang verursachte ihr Motor das einzige Geräusch weit und breit.
»Wohin jetzt, Cutter?«, fragte einer.
Unter der Wasseroberfläche bewegte sich etwas. Fejh beugte sich halb aus seinem Fass.
»Dammich, das sind …« Dann verschlug es ihm die Sprache.
Breitmäulige Köpfe reckten
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