Der Eiserne Rat
Brief.
Es war perfekt, und das gab den Ausschlag. Pomeroy tobte zwar, aber Cutter wusste, er würde sie nicht im Stich lassen.
Jemand beobachtet uns, dachte Cutter. Jemand, der flüstert. Jemand, der behauptet, er sei mein Freund.
Das Meer. Die Wüste. Danach viele Meilen unerforschten Gebiets. Kann ich das schaffen?
Nur ein kleines Meer. Der Mann, den sie suchten, hinterließ Spuren, auch in der Erinnerung der Leute. Cutter registrierte die Ängste seiner Freunde. Er machte ihnen keinen Vorwurf – ihr Unterfangen war gewaltig. Dennoch war er überzeugt, dass sie ihr Ziel erreichen würden.
Ehe sie an Bord gingen, hörten sie sich nach Gerüchten über einen Golem-Reiter um, oder ob man in letzter Zeit Häscher der Miliz gesehen hatte. Sie schickten einen Brief nach Hause, an ihre Verbündeten im Gremium, worin stand, sie wären auf gutem Weg, dass sie die Fährte aufgenommen hätten.
Der schwebende Mann glitt durch geheimnisvolle Landschaften, über Fulguriten und Brackwassertümpel hinweg. Er stand aufrecht in der Luft, hielt mal die Arme vor der Brust verschränkt, dann ließ er sie an den Seiten herabhängen. Er beschleunigte seine Fahrt, eine Luftreise widernatürlicher Art.
Ein Vogel war sein Begleiter, doch er flog nicht, sondern der Mann trug ihn auf dem Kopf. Das Tier spreizte die Flügel, ließ den Wind durch das Gefieder streichen. Sein Umriss war von einem Auswuchs, einer Wucherung entstellt.
Der Mann kam an Dörfern vorbei. Tiere, die ihn sahen, heulten.
Am stumpfen Ende der Hügelkette, in einer dürstenden Steppe, gelangte der Schwebende zu einer Unterbrechung der Monotonie. Einem in die Erde eingebetteten Etwas, ein Stern aus Rostrot und zerfetztem braunschwarzen Stoff. Ein toter Mensch. Aus großer Höhe herabgestürzt und von der Wucht des Aufpralls wie mit einem Hammer in den Boden geschmettert. Eine geringe Menge Blut war in den Staub gesickert und schwarz geworden. Das Fleisch war zermalmt und füllte die Haut wie einen Sack.
Der Mann, der über dem Boden schwebte, und der Vogel, der auf ihm ritt, schauten auf den Toten hinunter und dann wie auf Verabredung, unnatürlich synchron, zum Himmel.
Kapitel 3
Am zweiten Tag auf offener See, auf dem grauen Wasser des Kargen Meers, übernahmen Cutter und seine Gefährten das Kommando auf der Akif. Pomeroy hielt dem Kapitän seinen Revolver an die Schläfe. Die Mannschaft machte große Augen. Elsie und Ihona hielten ihre Waffen im Anschlag. Cutter sah, dass Elsies Hand zitterte. Fejh reckte sich aus seinem Wasserfass, den gespannten Bogen in den Händen. Der Kapitän brach in Tränen aus.
»Wir machen einen Abstecher«, sagte Cutter. »Euer Törn dauert diesmal ein paar Tage länger. Wir gehen erst einmal auf Kurs Südwest, folgen der Küste bis zur Mündung des Dradscale und fahren dann den Fluss hinauf landeinwärts. Ihr kommt ein paar Tage später nach Shankell, weiter nichts. Und mit etwas reduzierter Ladung.«
Die aus sechs Männern bestehende Crew lieferte murrend die Waffen aus. Sie waren wahllos angeheuert worden, um Tagelohn, und empfanden keine Solidarität untereinander oder gegenüber dem Kapitän. Fejhechrillen warfen sie aus irgendeinem Vorurteil heraus hasserfüllte Blicke zu.
Cutter fesselte den Kapitän ans Steuerruder, bei den ihrer Hörner beraubten Säbelantilopen, aus denen die Ladung der Akif bestand. Die Gefährten hielten ihn abwechselnd in Schach, unter den Augen ihrer zukünftigen Reittiere. Sein Geflenne war peinlich. Die Sonne brannte heißer. Der Kiel schnitt eine Wunde ins Wasser, die immer breiter klaffte. Fejh litt Qualen in der salzigen Backofenluft.
Am dritten Tag sichteten sie die Nordküste des Cymek. Unwirtliche Lehmhügel, Staub und Sandlöcher. Schütter und vereinzelt behauptete sich Pflanzenwuchs: staubgrauer Strandhafer, harte, fremdartige Bäume, dorniges Laub. Die Akif dampfte an Salzmarschen entlang.
»Er hat immer gesagt, dies wäre der einzige Weg zum Eisernen Rat«, sagte Cutter.
Die Mineralien des Dradscale-Deltas erzeugten im Wasser schillerndes Moiré. Die schlammige Brühe war voller Tang, und Cutter beobachtete mit dem großäugigen Staunen des Stadtmenschen eine Herde Seekühe, die an die Oberfläche kam, um zu grasen.
»Nicht ist sicher«, meldete der Steuermann sich zu Wort. »Ist voller …« Er stieß eine Obszönität oder einen Laut des Abscheus aus und zeigte auf Fejh. »Weiter oben. Voller Flussschweine.«
Cutter biss bei dem Wort die Zähne zusammen.
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