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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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um Fejh. Wir sehen uns später.«
     

     
    Er staunte, wie froh er war, allein zu sein. Die Zeit blieb stehen. Cutter wanderte durch eine Traumwelt, die Illusion einer Ebene.
    Keine Nachtvögel riefen, keine Glucliche, keine Regung von Leben, nichts, nur das nächtliche Panorama, und dieses einer gemalten Kulisse ähnlicher als der Wirklichkeit. Cutter befand sich allein auf einer Bühne. Er dachte an die tote Ihona. Endlich waren die Lichter ganz nah, ein Kral fest gebauter Häuser schälte sich aus der Dunkelheit. Er schritt in das Dorf hinein, dreist, wie ein geladener Gast.
    Eine Geisterstadt. Die Fenster leere Höhlen. Die großen Türen gähnten in stille Räume. Alle waren verlassen.
    Die Lichter konzentrierten sich auf Kreuzungen: kopfgroße Kugeln aus gedämpft glosender Lava, kühl und nicht heller als eine verhängte Lampe. Vollkommen reglos hingen sie in der Luft. Ein Summen ging von ihnen aus, über der Oberfläche flackerten feurige Gasentladungen. Domestizierte Nachtsonnen. Nichts regte sich.
    In den leeren Straßen redete er mit dem Mann, dem er folgte: »Wo bist du?« Er sprach sehr leise.
    Auf dem Rückweg zum Steilhang erspähte Cutter oben am Rand ein Licht, eine Laterne, die sich bewegte, langsam. Er wusste, es waren nicht seine Gefährten.
     

     
    Elsie wollte das verlassene Dorf sehen; Cutter wandte ein, dafür sei keine Zeit, sie müssten die anderen Lichtinseln erforschen, um festzustellen, ob sie dort eine Spur aufnehmen konnten. »Du hast etwas gespürt«, erinnerte er Elsie. »Wir müssen Genaueres herausfinden. Wir brauchen einen verdammten Fingerzeig.«
    Fejh ging es besser, nachdem sein Fass nun wieder mit frischem Wasser gefüllt war. Dennoch hatte er Angst. »Dies ist keine Gegend für einen Vodyanoi«, sagte er. »Ich werde hier sterben, Cutter.«
    Irgendwann vormittags schaute Cutter sich um und wies mit dem ausgestreckten Arm den Weg zurück. Auf dem Plateau, von dem sie am Abend zuvor auf diese Ebene hinuntergeblickt hatten, zeichnete sich vor dem hellen Himmel die schwarze Silhouette eines Reiters ab. Eine Frau oder ein Mann mit einem breitkrempigen Hut.
    »Wir werden verfolgt. Ich wette, es ist der Flüsterer.« Cutter wartete auf ein Raunen an seinem Ohr, doch es blieb still. Den ganzen Tag über, bis in den frühen Abend hinein, folgte ihnen der Reiter, ohne näher zu kommen. Es war ihnen unbehaglich, aber sie konnten nichts dagegen tun.
    Cutter nahm an, das zweite Dorf wäre verlassen wie das erste, doch er irrte sich. Die Antilopen trotteten schnaubend und mit schleifenden Hufen über verlassene Plätze im Schein der zischelnden Leuchtkugeln. Vor einer langen, von Kugeleinschlägen übersäten Mauer blieben sie stehen. Der Verputz zeigte Flecken und Spritzer von Pflanzensaft. Die Gefährten stiegen ab und standen in den kalten Indizien von Gewalt.
    Hinter dem Ortsrand sah Cutter gepflügte Felder, dann aber durchlief ihn ein inneres Frösteln, als ihm klar wurde, die umgewühlte Erde war ein Acker besonderer Art. Ein Totenacker. Ein Massengrab.
    Knochen durchbrachen die sie bedeckende Erdschicht wie die ersten Schösslinge einer makabren Ernte. Sie waren fleischlos, brandgeschwärzt, faserig wie zähes Holz. Die Gebeine von Kaktusleuten.
    Cutter stand zwischen den Toten, über ihrem vermodernden Pflanzenfleisch. Die Zeit nahm ihren Gang wieder auf. Er fühlte ihr Schaudern.
    Dieser grausige Acker hatte eine grausige Vogelscheuche. Ein Toter, der brutal zugerichtete Leichnam eines Mannes, hing mit zugespitzten Pflöcken gekreuzigt an einem Baum. Er war von Wurfspeeren durchbohrt. Eine Speerspitze ragte aus seinem Solarplexus – man hatte ihm die Waffe in den Anus und schräg aufwärts durch den Leib getrieben. Der Hodensack war abgerissen. An der Kehle des Toten klebte getrocknetes Blut. Seine Haut war in der Sonne zu Leder gedörrt, Insekten machten sich an ihm zu schaffen.
    Die Reisenden standen vor ihm und schauten, still und stumm wie andachtsvolle Anbeter vor ihrem Totem. Als nach einigen Minuten Pomeroy sich rührte, hielt er weiter unverwandt den Blick darauf gerichtet, als wäre es respektlos, die Augen von dem Toten abzuwenden.
    »Seht doch.« Er schluckte. »Alles Kaktusleute.« Er grub mit dem Fuß in der Erde, förderte Teile der verscharrten Leichen zu Tage. »Und dann der da. Was in Jabbers Namen ist hier passiert? Der Krieg ist nicht bis hierher gekommen …«
    Cutter musterte den Toten. An dem misshandelten Körper war kaum Blut zu sehen, sogar zwischen

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