Der Eisvogel - Roman
wirbelten herum, Sperrholzteile, Manuela wollte sich von Mauritz losmachen, aber er hielt sie fest, sie schrie, wehrte sich, versuchte ihn zu beißen, er lachte, hielt ihr die Pistole an die Schläfe: Halt die Schnauze, verstehst du, halt die Schnauze oder
– auf freiem Grund mit freiem Volke stehn, die Wiederkehr des Herrn und die Entrückung der Gerechten, wie es geschriebensteht im Thessalonicherbrief, wonach die große Drangsal beginnt, Babylon, die Hure Babylon, Wiggo, die wenigen müssen herrschen über die vielen, aber sie werden ihnen nützen, nicht sich bereichern, die Herrschaft der wenigen wird sein der Dienst an den vielen, und es muß Gerechtigkeit herrschen, die Verderbnis der Menschen kommt aus der Ungerechtigkeit ... Und du mußt mir helfen, sie zu finden, die Gerechtigkeit ... Was ist es, Gerechtigkeit, was ist es, Wahrheit ... und sie: Wir müssen sie zerstören
– Mauritz! Laß sie los, sofort, du bist wahnsinnig, – Und du bist lebensmüde, kleiner Philosoph, – Laß sie los, sagte ich, spannte den Hahn meiner Pistole, Manuela riß sich los, suchte Deckung, stolperte, rappelte sich auf, Mauritz’ Augen flackerten, er griff mit der anderen Hand unter die Waffe, zielte, Manuela blieb stehen, ich sah, wie sich sein Finger um den Abzug krümmte
– wir müssen die Zeit zerstören, sagte er, wir müssen sie zerstören, die Zeit
Wiggo Ritter hat die denkbar besten Voraussetzungen für eine Traumkarriere. Doch dem Vater, einem erfolgreichen Bankier, will er nicht nacheifern, und seine akademische Laufbahn als Philosoph ist gescheitert. Sein scheinbar aussichtsloses Leben gerät in neue Bahnen, als Wiggo den charismatischen Geschwistern Mauritz und Manuela begegnet: zwei perfekt getarnten Terroristen, Mitgliedern einer konservativen Organisation, die eine neue Elite an die Macht bringen will. Ihnen scheint Wiggo, der nichts mehr zu verlieren hat, der ideale Verbündete zu sein. Doch dann verliebt der sich ausgerechnet in Manuela – und gefährdet damit nicht allein die gesamte Organisation, sondern vor allem sich selbst.
Uwe Tellkamp wurde 1968 in Dresden geboren. Nach seinem Wehrdienst in der NVA verliert er wegen »politischer Unzuverlässigkeit« seinen Medizinstudienplatz, wird 1989 im Zuge der Wende inhaftiert und nimmt danach sein Studium in Leipzig, New York und Dresden auf. Nach seinem akademischen Abschluß arbeitete er als Arzt in einer unfallchirurgischen Klinik in Dresden. Zuletzt sind von ihm im Suhrkamp Verlag erschienen: Der Turm (2008), Reise zur blauen Stadt (2009) und Die Sandwirtschaft – Anmerkungen zu Schrift und Zeit. Leipziger Poetikvorlesung (2009).
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