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Wintzenried: Roman (German Edition)

Wintzenried: Roman (German Edition)

Titel: Wintzenried: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Ott
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I
    E r liegt im Bett, onaniert und stellt sich Mama dabei vor. Immer hat er Angst davor, es tatsächlich mit ihr tun zu müssen. Wenn man es sich bloß vorstellt, ist es viel erregender als in der Wirklichkeit. Mit sich allein ist alles viel einfacher. Nur dass er sich allmählich ruiniert, wenn er es ständig allein macht. Wofür es Beweise gibt. Und trotzdem kann er es nicht lassen.
    Seit seiner Rückkehr aus Turin sagt er Mama zu ihr. Und sie nennt ihn Kleiner. Mama ist dreizehn Jahre älter. Es kommt ihm wie Inzest vor. Doch was hätte er machen sollen? Er will ja bei ihr bleiben.
    Und all das nur, weil er glaubte, Mama erzählen zu müssen, wie seine Schülerinnen im Schlafhemd auf ihn warten und ihre Mütter ihn ständig auf den Mund küssen, vor den Augen ihrer eigenen Männer.
    Mama gab ihm drei Tage Bedenkzeit. Entweder sie oder die anderen.
    Was hätte er machen sollen?
    Ein Pfarrer hatte ihn zu ihr geschickt, zwei Tage nach seiner Flucht. Dort sei er fürs Erste versorgt, dann sehe man weiter. Er ließ sich Zeit, war nochmals drei Tage unterwegs, ohne jede Eile, schließlich hatte er nichts anderes als eine Betschwester erwartet. Ein Hutzelweib, das ihm etwas zu essen hinstellt, vorausgesetzt, dass er zum Katholizismus übertritt.
    Und dann stand er vor ihrer Tür, mit dem Empfehlungsschreiben dieses Pfarrers in der Tasche. Nur dass niemand aufmachte. Sie sei auf dem Weg zur Kirche, sagten die Leute auf der Straße. Wohin denn sonst am Palmsonntagmorgen, wenn die Glocken läuten!?
    Warum er auf einmal zu rennen anfing, wusste er selbst nicht. Und dann sah er sie von weitem. Wusste sofort, dass sie es ist, obwohl es alles andere als eine Betschwester war, ganz im Gegenteil. Als sie sich zu ihm umschaute, wurde ihm schwarz vor Augen.
    Fünfzig Jahre später wird er schreiben: Die Stelle, an der sie mich zum ersten Mal angeschaut hat, müsste ein Wallfahrtsort werden, dem die Leute sich nur auf Knien nähern dürfen. Nie habe ich ein schöneres Gesicht, nie herrlichere Brüste gesehen.
    Von einer solchen Missionarin will man gern bekehrt werden, zu welchem Glauben auch immer. An Gott denkt kein Mensch, der vor ihr steht.
    Wer bist du?, fragte sie ihn, und er sagte: Jean-Jacques.
    Wenn du dich in Turin taufen lässt, darfst du zu mir zurückkommen, sagte sie zu ihm am nächsten Morgen.
    Eine Woche später saß er mit einem alten Ehepaar, das während der Fahrt für seine Verkostung aufkam, in der Kutsche. In Turin lieferte es ihn im Hospiz zum Heiligen Geist ab. Was das alles bedeuten sollte, wusste er nicht. Er musste jetzt einfach katholisch werden und ein neues Leben anfangen. Also lernte er in neun Tagen den Katechismus auswendig. Im Hospiz zum Heiligen Geist wollte er schon deshalb keinen Tag länger als nötig bleiben, weil ihn gleich in der ersten Nacht ein Afrikaner in den Speisesaal lockte, die Tür verriegelte, sich vor ihm auszog, zu stöhnen anfing und dabei fürchterliche Grimassen schnitt.
    Nicht nur in dieser Nacht sehnte er sich nach Genf zurück, zu seiner früheren Pflegemama. Wäre es nach ihm gegangen, hätte sie ihn noch viel öfter schlagen sollen. Je fester, desto besser. Immer hätte er dabei jauchzen können. Hätte sie gewusst, wie ihn diese Hiebe entzückten, hätte sie ihn wahrscheinlich nie wieder geschlagen. Oder sie hätte nur umso wilder zugeschlagen, so lange, bis wirklich nur noch der Schmerz übrig geblieben wäre.
    Manchmal denkt er: Ich möchte nur noch geschlagen werden, mein ganzes Leben lang.
    Zurück aus Turin, hört er durch die Wand, dass Mama nachts nicht immer allein ist. Von Frömmigkeit kann in ihrem Haus sowieso keine Rede sein. Abends ist die Stube alle paar Tage voll, fast nur mit Männern. Beinahe könnte man meinen, Mama sei vor allem deshalb aus Vevey geflohen, weil sie bei den Calvinisten nicht nächtelang tanzen und singen durfte.
    Dass nie genug Geld im Haus ist, wundert Jean-Jacques nicht. Wenn die alten Weiber von der Vesper heimschlurfen, bleiben sie auf der Straße stehen, glotzen durch die Fenster und schütteln den Kopf. Auch dem Gärtner scheint das alles nicht sonderlich zu gefallen. Seit Mama auch ihren Kleinen zu sich ins Bett holt, zieht er sich immer mehr in eine Art Stummheit zurück. Nur beim Morgenessen sagt er fast jeden Tag: Der arbeitet nichts. Manchmal streichelt Mama dann Jean-Jacques übers Haar und sagt: Er ist ja noch klein.
    Dabei gibt es kaum etwas zu tun. Der Salat und die gelben Rüben wachsen im Garten von allein, die Äpfel

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