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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Scheinwerferlicht Fangnetze hoch und Eimerketten für den Schutt, die aussahen wie dicke blaue Elefantenrüssel, weißt du es? Er schwieg, lehnte am Fenster, starrte nach draußen, draußen war Nacht
    – Unruhe, die aus dem Aufbäumen des Spätsommers gegen die einkreisenden, mit fließenden Händen tastenden Schatten wuchs, dunkleres Land, das unnahbar und still hinter den sichtbaren Dingen begann wie das auf einmal wieder lautere und schon beklemmend nahe Geräusch der Zeit: Schritte vor der Tür der Sicherheiten und hoffnungsvollen Träume. Vielleicht waren es die Schmerzen der Verbrennungen an Armen und Beinen, im Gesicht, die mich die Dinge überdeutlich erinnern ließen, in einer Art von halluzinatorischer Wachheit,Bilder, die sich mir ins Gedächtnis brannten und jetzt wiederauftauchen. Möchten Sie etwas zu trinken, Herr Ritter? fragt mich die Krankenschwester, die nicht gern im Zimmer ist, vielleicht, weil ich kaum etwas sage, nichts preisgebe, obwohl es wahrscheinlich, mag sie denken, einiges preiszugeben und zu sagen gäbe: die vielen Bücher auf dem Nachtschränkchen, CDs, die sich daneben stapeln. Hier, hab ich dir mitgebracht, – Danke, Dorothea, wäre nicht nötig gewesen; all das mag im Widerspruch stehen zu meiner für die Schwester womöglich ostentativen Schweigsamkeit. Kein angenehmer Mensch, mag sie denken, wie sie da beinahe ängstlich, deutlich schüchtern, eigenartig für eine Krankenschwester in ihrem angestammten Bezirk, in der Nähe der Tür steht und abwartet, – Nein, vielen Dank, Schwester Silke – Sonst irgendetwas, kann ich sonst etwas für Sie tun? – Nein, danke, schönen Dienst wünsche ich Ihnen. Ihr Gesicht hellt sich etwas auf. Wenigstens ist er nicht unhöflich, mag sie denken, Unruhe, die Unruhe der Stadt, Treiben, Schwimmen, ein- und ausschießende U-Bahn-Züge, die Havel robbenschwarz, die Spree sauertöpfisch wie ein magenkranker Greis, die Studenten kehrten in die Stadt zurück, schnatternde Wiedersehensfreude, man konnte ihn förmlich hören, den dumpfen Plumps der vollgestopften, mühselig herangeschleppten Kraxen und Koffer, Seesäcke und Reisetaschen in Tausenden Wohnungen, Internats- und WG-Zimmern, doch, Schwester, wenn ich etwas gegen die Schmerzen bekommen könnte, Aspirin hilft gar nicht, habe ich das Gefühl, – Ich sag dem Doktor Bescheid; Unruhe, Begeisterungsrufe über die in multikultureller Mischung ausgeschütteten Mitbringsel aus Urlaubsfernen, Erinnerungen an Strandbläue und flaschengrüne Brandung, zu reich für die Hast der Minuten, hinweggespült in den Sogen der rastloser werdenden Stadt. So war es in jedem Jahr, wellenhaft, so hatteich es in der Studienzeit erlebt, die breitatmende, zyklische Dünung wie der Ausschlag eines Riesenpendels: Abströmen der Studenten am Ende des Sommersemesters, Einströmen zu Beginn des neuen Studienjahres im Oktober. Erinnerungen und Souvenirs waren wie Strandgut, das liegenblieb im Sommersand; die Wellen rollten zurück. Aus der Stadt begannen die einfachen Dinge zu verschwinden. Eine Hand tippte an einen Kreisel, so daß seine Pirouetten zerbrachen: Herbst, es wurde Herbst in Berlin
    – Vater bestellte mich in die Bank, wie es seine Art war: Er wußte, daß ich nicht ans Telefon ging, deshalb ließ er mir eine Nachricht zukommen, nicht per E-Mail oder Fax, auch nicht per Post, sondern per Fahrradkurier. Ich möchte dich sprechen. Ich kann morgen eine Viertelstunde erübrigen, warte in meinem Büro auf mich. Und ich wartete – nicht weil mir sein Befehl Wunsch oder ich ein besonders gut dressierter und gehorsamer Sohn gewesen wäre, mich interessierte, was er diesmal von mir wollte, und ich hatte Sehnsucht nach einem Gesicht: Willst du kein normales Leben führen, hatten Lippen zu mir gesagt, die ich bei einem früheren Besuch in Vaters Bank zum ersten Mal sah, damals, als ich im Vestibül aufgerufen wurde und der Empfangsdame folgte, deren Hintern in einem zum Zerreißen gespannten Kostüm vor mir die polierte Marmortreppe zur Chefetage hochschaukelte, dann die Unterredung mit meinem Vater: Wie sieht jetzt deine weitere Lebensplanung aus, Wiggo, hast du eine Stelle, hast du eine Freundin, dann klopfte es, herein, ja, Frau Toft ... – ’t Hooft, sagten die Lippen. Die Augen glitten von meinem Vater zu mir, musterten mich spöttisch, dunkel wie Brombeeren, das Haar schwarz und glatt wie Vogelflügel. Ja, Frau ’t Hooft, entschuldigen Sie. Ihr Name ist nicht ganz unkompliziert. Bringen Sie die

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