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Der Elefant verschwindet

Titel: Der Elefant verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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zehn Jahre her. Wir waren beide furchtbar arm, konnten uns nicht mal Zahnpasta leisten. Zu essen hatten wir natürlich auch nie genug. Wir haben damals wirklich alles Mögliche angestellt, um was Essbares in die Finger zu kriegen. Dazu gehört auch der Bäckereiüberfall.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte meine Frau und sah mich unverwandt an mit Augen, als suchte sie in der Morgendämmerung am Himmel verblassende Sterne. »Warum habt ihr so etwas gemacht? Warum habt ihr nicht gearbeitet? Mit einem kleinen Job hättet ihr euch doch wenigstens Brot besorgen können, oder nicht? Das wäre zumindest einfacher gewesen. Einfacher jedenfalls, als eine Bäckerei zu überfallen, oder?«
    »Arbeiten wollten wir ja gerade nicht«, sagte ich. »So viel stand fest.«
    »Aber jetzt arbeitest du doch auch, oder?«, fragte meine Frau.
    Ich nickte und nahm einen Schluck Bier. Dann rieb ich mir mit den Innenseiten der Handgelenke die Augen. Die paar Bier wollten mich schläfrig machen. Wie ein Nebelschleier senkte sich die Müdigkeit in mein Hirn und stritt mit dem Hunger. »Andere Zeiten, andere Meinungen«, sagte ich. »Aber wollen wir nicht langsam wieder schlafen gehen? Wir müssen morgen früh raus.«
    »Ich bin nicht müde, und außerdem will ich die Geschichte von dem Bäckereiüberfall hören«, sagte meine Frau.
    »Die ist langweilig«, sagte ich. »Zumindest nicht so interessant, wie du sie dir vorstellst. Viel ist nicht passiert.«
    »Hat der Überfall denn geklappt?«
    Resigniert riss ich eine neue Bierdose auf. Wenn meine Frau von irgendwas den Anfang gehört hatte, meint sie, unbedingt auch noch den Schluss kennen zu müssen.
    »Einerseits ja, andererseits nein«, sagte ich. »Das heißt, wir bekamen zwar so viel Brot, wie wir wollten, aber nicht aufgrund von Nötigung. Denn bevor wir es ihm entwenden konnten, gab der Bäcker es uns.«
    »Umsonst?«
    »Nicht umsonst. Das ist ja der Punkt«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Der Bäcker war ein großer Liebhaber klassischer Musik und hörte gerade Wagner-Ouvertüren. Er schlug uns folgendes Geschäft vor: Wenn wir uns die Platte geduldig bis zum Ende anhören würden, könnten wir so viel Brot aus dem Laden mitnehmen, wie wir wollten. Warum eigentlich nicht, meinten mein Kumpel und ich, Musik können wir uns anhören. Das ist keine Arbeit im eigentlichen Sinne, und außerdem tut’s niemandem weh. Also steckten wir die Messer ein, setzten uns jeder auf einen Stuhl und lauschten mit dem Bäcker den Ouvertüren von ›Tannhäuser‹ und dem ›Fliegenden Holländer‹.«
    »Und bekamt dann das Brot.«
    »Genau, wir warfen fast das ganze Brot, das im Laden war, in unsere Reisetasche, brachten es nach Hause und aßen vier oder fünf Tage lang davon«, sagte ich und schlürfte weiter mein Bier. Wie eine von einem Seebeben erzeugte lautlose Welle schaukelte die Müdigkeit träge mein Boot.
    »Unser Ziel, Brot zu bekommen, hatten wir natürlich erreicht«, fuhr ich fort. »Aber wie man es auch drehen mochte – es war nichts, was man hätte Verbrechen nennen können. Es war sozusagen ein Tauschgeschäft. Wir hörten uns Wagner an und bekamen dafür Brot. Juristisch gesehen so etwas wie eine Transaktion, verstehst du?«
    »Wagner hören ist keine Arbeit«, sagte meine Frau.
    »So ist es«, sagte ich. »Wenn der Bäcker von uns verlangt hätte, Geschirr zu spülen oder das Schaufenster zu polieren, hätten wir das kategorisch abgelehnt und ihm das Brot schlicht abgenötigt. Aber solche Forderungen stellte er nicht, er verlangte schlicht und einfach, Wagner anzuhören. Das verwirrte meinen Kumpel und mich völlig. Denn mit Wagner hatten wir selbstverständlich nicht gerechnet. Es war wie verflucht. Wir hätten dem, wenn ich jetzt so drüber nachdenke, überhaupt kein Ohr leihen, sondern den Kerl wie geplant mit dem Messer bedrohen und das Brot einfach klauen sollen. Dann hätte es keine Probleme gegeben.«
    »Es gab Probleme?«
    Ich rieb mir wieder mit den Innenseiten der Handgelenke die Augen. »Allerdings«, antwortete ich. »Wenn auch keine sichtbaren, keine konkreten. Nur, ausgehend von diesem Zwischenfall veränderte sich nach und nach einiges. Und was sich verändert hatte, wurde nicht mehr so, wie es einmal war. Ich ging schließlich wieder zur Uni, machte glücklich meinen Abschluss, arbeitete bei einem Anwalt und bereitete mich auf das Staatsexamen vor. Dann lernte ich dich kennen und heiratete. Eine Bäckerei habe ich nicht mehr überfallen.«
    »Ist das

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