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Der Elefant verschwindet

Titel: Der Elefant verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sofort?«, fragte ich zurück.
    »Ja, jetzt sofort! Solange der Hunger anhält. Was nicht gelöst worden ist, muss jetzt gelöst werden.«
    »Aber welche Bäckerei hat denn zu dieser nachtschlafenden Zeit noch auf?«
    »Suchen wir eine«, sagte meine Frau. »Tōkyō ist eine große Stadt, irgendwo wird es schon eine geben, die durchgehend geöffnet hat.«
    Wir stiegen in unseren alten Toyota Corolla und suchten nachts um halb drei die Stadt nach einer Bäckerei ab. Ich steuerte, und meine Frau vom Beifahrersitz aus hielt mit dem scharfen Blick eines Raubvogels nach allen Seiten hin Ausschau. Auf dem Rücksitz lag wie ein steifer, langer Fisch ein Remington-Automatik-Schrotgewehr, und die Ersatzmunition in den Taschen des Blousons, den meine Frau übergezogen hatte, verursachte ein trockenes Rascheln. Außerdem lagen im Handschuhfach zwei schwarze Skimützen. Weshalb meine Frau ein Schrotgewehr besaß, war mir ein Rätsel. Ebenso die Skimützen. Weder sie noch ich waren jemals Ski gelaufen. Sie erklärte das aber nicht weiter, und ich fragte auch nicht. Eine Ehe ist schon irgendwie merkwürdig, dachte ich nur.
    Unserer wohl als komplett zu bezeichnenden Ausrüstung zum Trotz gelang es uns allerdings nicht, eine durchgehend geöffnete Bäckerei ausfindig zu machen. Durch die nachtleeren Straßen fuhr ich von Yoyogi nach Shinjuku, dann nach Yotsuya, Akasaka, Aoyama, Hiroo, Roppongi, Daikanyama und Shibuya. Wir bekamen im nächtlichen Tōkyō die verschiedensten Leute und Läden zu sehen, nur keine Bäckerei. Mitten in der Nacht gab es kein frisches Brot.
    Unterwegs stießen wir zwei Mal auf Streifenwagen der Polizei. Einer stand versteckt am Straßenrand, der andere kam mit relativ geringer Geschwindigkeit von hinten und überholte uns. Ich schwitzte beide Male unter den Armen, aber meine Frau suchte eifrig unsere Bäckerei und würdigte die Streifen keines Blickes. Mit jeder Änderung ihrer Körperhaltung raschelten die Schrotkugeln in ihrer Tasche wie die Häckselfüllung in einem Kopfkissen.
    »Geben wir auf«, sagte ich. »So spät in der Nacht hat kein Bäcker mehr auf. So was muss man eben vorher auskundschaften …«
    »Stop!«, sagte meine Frau unvermittelt.
    Hastig trat ich auf die Bremse.
    »Die hier nehmen wir!«, sagte sie ganz ruhig.
    Ich legte die Hände aufs Lenkrad und schaute mich um, entdeckte aber nichts, was nach Bäckerei aussah. Die Geschäfte hatten alle ihre tiefschwarzen Gitter unten und waren in Totenstille versunken. In der Finsternis schwebte die blaurote Reklameröhre eines Friseurladens, kalt, ein langgezwirbeltes Glasauge. Nur etwa zweihundert Meter weiter war eine Leuchtreklame zu sehen: McDonald’s Hamburger.
    »Hier gibt’s keine Bäckerei«, sagte ich.
    Doch meine Frau öffnete wortlos das Handschuhfach, nahm eine Rolle Isolierband heraus und stieg damit aus dem Wagen. Ich stieg ebenfalls aus. Meine Frau kauerte sich vorn vor den Wagen, schnitt das Band in passende Stücke und klebte damit das Nummernschild so ab, dass die Nummer nicht mehr zu lesen war. Dann lief sie ums Auto und machte das hintere Schild dort auf die gleiche Weise unkenntlich. Sie ging sehr routiniert vor. Ich stand einfach nur da und schaute ihr zu.
    »Wir nehmen das McDonald’s da«, sagte meine Frau. Es klang so beiläufig, als ob sie mir mitteilte, was es zum Abendessen gibt.
    »McDonald’s ist keine Bäckerei«, verwies ich sie.
    »Aber so etwas Ähnliches«, sagte meine Frau und stieg wieder ins Auto. »Manchmal muss man eben Kompromisse machen. Fahr jedenfalls vor zu McDonald’s.«
    Folgsam fuhr ich die zweihundert Meter vor. Auf dem Parkplatz von McDonald’s stand nur ein Wagen, ein rot funkelnder Bluebird. Meine Frau gab mir das in eine Wolldecke gewickelte Schrotgewehr.
    »Mit so was hab ich noch nie geschossen, und ich möchte auch nicht schießen«, protestierte ich.
    »Schießen ist nicht nötig. Du brauchst es nur zu halten. Niemand wird Widerstand leisten«, sagte meine Frau. »Hör zu. Mein Plan ist folgender: Zuerst gehen wir selbstsicher hinein. Und sobald die Angestellten ihr ›Willkommen bei McDonald’s‹ intonieren, ziehen wir schnell die Skimützen über. Verstanden?«
    »Schon, aber …«
    »Dann richtest du das Gewehr auf die Angestellten und treibst das gesamte Personal und die Gäste an einer Stelle zusammen. Und zwar rasch. Den Rest erledige ich dann schon.«
    »Aber …«
    »Was meinst du, wie viele Hamburger wir brauchen«, fragte sie. »Ob dreißig reichen?«
    »Bestimmt«,

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