Der Elefanten-Tempel
hatte, Ja sagte zu Thailand und den Elefanten. Sie würde es schon irgendwie schaffen. Mit Sofia zusammen konnte siealles schaffen! Sie kannten sich seit der Grundschule; Sofia hatte als Einzige zu ihr gehalten, als die anderen Kinder gemein zu ihr gewesen waren. Jahre danach hatte Ricarda zum ersten Mal den Begriff »Mobbing« gehört und begriffen, was damals geschehen war. Später hatten sie zusammen Drachen steigen lassen, sich beim Einradfahren die Knie aufgeschrammt, nächtelang miteinander gechattet, im Auftrag des Direktors ein riesiges Wandgemälde an die Schulwand gepinselt, das heute noch bewundert wurde. Einmal hatten sie sogar eine Nacht wild gecampt, mitten im Odenwald. Und jetzt – Thailand. Das war eine Nummer größer. Nein, gleich ein paar Nummern.
Toll wird es werden, entschied Ricarda. Und die Stimme in ihrem Inneren, die sonst immer zweifelte, kuschte und gab ausnahmsweise Ruhe.
Die Türen ihres Kleiderschranks standen weit offen. T-Shirts. Tops. Fleece-Pullis. Shorts. Jeans. Rein damit in den Koffer. Wieso hatte sie eigentlich so verdammt viele schwarze Sachen? Die würden die Sonne aufsaugen, Schwitzgarantie. Außerdem passte es nicht zu dieser Reise, etwas in ihr sträubte sich dagegen. Hatte sie nicht auch irgendwo ein hellblaues T-Shirt und eins in Orange? Ricarda wühlte sich tief in ihren Schrank hinein … und ihre Finger stießen auf etwas Hartes, einen Lederkasten.
Obwohl sie es geschafft hatte, ihn und seinen Inhalt zeitweise völlig zu vergessen, wusste sie sofort,was sie gefunden hatte. Ihre Finger zuckten zurück, als hätte sie sich verbrannt, und ihr Magen zog sich zusammen wie eine Faust. Wieso hatte sie das Ding noch nicht weggeschmissen? Besser, sie schmuggelte es in den Müll und wurde es endlich los. Nie wieder sollte es sie daran erinnern, was geschehen war, was sie getan hatte …
Weg damit, weg!
Doch gerade als sie es hervorgezogen hatte, kam ihre Mutter herein. Angeklopft hatte sie eine Sekunde vorher, viel zu kurz, um darauf zu reagieren. Ricarda stand in der Bewegung erstarrt, sprachlos vor Schreck. Der lederne Halteriemen war noch um ihre Hand geschlungen.
»Ach, dein Fernglas, das habe ich ja lange nicht mehr gesehen«, sagte ihre Mutter und lächelte. »Das nimmst du bestimmt mit, oder? Es gibt eine Menge Tiere zu beobachten in Thailand.«
»Ja«, krächzte Ricarda und legte den Lederkasten in ihren Koffer. Doch als ihre Mutter weg war, nahm sie ihn wieder heraus und stellte ihn zurück in den Schrank.
Paläste und Piña Colada
Das war also Bangkok! Auf der Straße knatterten Scharen von bunten Mopeds, Taxis, Bussen und Tuk-Tuks – motorisierten Rikschas – an Ricarda vorbei und hinterließen Qualmwolken. Das ständige Gehupe vermischte sich mit Musik aller Art, die aus Autoradios, Läden und tragbaren Anlagen drang. Ricarda rümpfte die Nase. Wenn es ausnahmsweise mal nicht nach Abgas stank, dann aus den Garküchen am Straßenrand nach heißem Öl und Fischsoße oder aus dem Rinnstein modrig. Immerhin war das Wasser, das vor einer Stunde die Straßen in Flüsse verwandelt hatte, schon wieder abgelaufen. Wahrscheinlich direkt in den Chao Phraya oder die vielen kleinen Kanäle, die die Stadt durchzogen.
»Das war keine besonders tolle Planung von uns, in der Regenzeit herzukommen«, stöhnte Sofia und wischte mit einem Taschentuch an ihrem Schuh herum.
Ricarda atmete tief durch. Wie ging das noch mal mit dem positiven Denken? »Im Reiseführer stand, dass es nur einmal am Tag regnet und es immerhin sechs Stunden Sonne am Tag gibt.« Skeptisch kniff sie die Augen zusammen und musterte den Himmel. Grau sah der aus, die Luft war schwer und feucht und warm.
»Okay, es regnet vielleicht nur einmal am Tag, dannaber richtig!« Sofia seufzte. »Wenn wir draußen gewesen wären, wären wir wahrscheinlich einfach ersoffen.«
Ricarda warf noch einmal einen kurzen Blick in ihren Reiseführer, zuckte dann die Schultern und verstaute ihn in ihrem Rucksack. »Wusstest du, dass Krung Thep , der thailändische Name von Bangkok, ›Stadt der Engel‹ bedeutet? Dabei würden die Engel während der Regenzeit glatt vom Himmel gespült werden.«
»Ich glaub auch.« Sofia lachte. »Egal. Wir lassen uns den Tag in Bangkok nicht vermiesen, bevor wir nach Chiang Mai weiterfahren. Meinst du, wir finden hier irgendwo ein Internetcafé? Ich habe meinen Eltern versprochen, dass ich mich gleich melde, wenn wir angekommen sind.«
»Meinen Eltern soll ich eine SMS schreiben.«
Weitere Kostenlose Bücher