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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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festgeklemmt war, sich einer nach dem anderen lösten.
    Das Licht kam am Ende dieses Ganges aus einem großen vielsprossigen Fenster, das mit einem löcherigen Bettuch zuge- nagelt war; der schwankende Kerzenschein drang nur matt wie
    ein schwacher goldener Schimmer durch, aber aus den Löchern
    fielen große gelbe Flecken Licht, die sich auf der gegenüberlie- genden Wand projizierten wie riesige Butterflecken. Er blickte durch einen Schlitz hinein: zwischen vier großen brennenden Kerzen auf eisernen Kandelabern stand eine Bahre wie ein Kata-
    falk. Auf der Bahre schien eine alte Frau zu liegen, er sah nur
    ihren Hinterkopf: weiches weißes üppiges Haar, das im Kerzen- schein schimmerte wie ein silbernes Tuch. Vom Arzt sah er nur die rote Stirn mit den Knitterfalten über der Maske und seine Arme, die sich hoben und senkten. Es war ganz still. Zu Füßen der Bahre stand die Nonne mit dem weißen Gesicht, die unten mit dem Buch neben ihm gesessen hatte. Sie reichte Geräte, Mulltupfer, alles mit ruhigem, fast gleichgültigem Gesicht; ihre weiße Haube schwebte wie ein Riesenschmetterling über ihr und der Schatten der Haube stand schwarz und klar, sich leise bewe- gend an der Wand, wie die Schleife eines kleinen Mädchens, riesengroß gezeichnet. Eine andere Nonne, die ihm den Rücken wies, rückte die Lichter nach den kurzen ungeduldigen Handbe- wegungen des Arztes hin und her.
    Der Arzt war tief über die Liegende gebeugt, er schien fast zu knieen, nur manchmal tauchte sein Schädel höher, wenn er ein Instrument verlangte; dann kam auch sein großer breiter Brust-
    korb hoch, irgend etwas schien hinter ihm in einen Eimer zu
    plumpsen, und seine weißen Gummihandschuhe waren schwarz von Blut; er streifte sie ab, warf sie hinter sich auf einen Tisch, riß die Maske herunter und zuckte die Schultern. Die Nonne, die hinten stand, warf ein großes Tuch über die Liegende und schob die Bahre herum, und Hans sah jetzt deutlich das Gesicht der Liegenden: es war weiß wie Kalk.

    Er ging langsam zurück, von überallher zog es. In der schwar- zen Öffnung des Krankenzimmers sah er immer noch die Ziga- rette glühen. Er trat in den schweren Dunst, tastete sich an den Betten vorbei und sah jetzt, daß die Fenster mit schweren Dek- ken verhängt waren. Die Betten standen dicht nebeneinander, und in den schmalen Gängen schimmerte das Emaille der Nachtgeschirre. Die Zigarette in der Ecke glühte immer noch. Er unterschied jetzt Umrisse sah einen großen Tisch in der Mitte, wunde Stellen im Gemäuer, wo der Putz heruntergefallen war; und jetzt erkannte er in der Ecke das Gesicht, das von der auf- blakenden Glut der Zigarette erleuchtet wurde: einen schmalen
    jungen Frauenkopf mit einem gelbschwarz gestreiften Kopftuch.
    Das Gesicht war so blaß, daß es in der Dunkelheit weiß erschien und sanft leuchtete. Er trat nahe ans Bett heran und sagte: »Bitte, etwas Feuer.« Er sah einen flauschig blau bekleideten Arm, eine kleine Hand, die sich seiner Zigarette näherte, und sog. Sie sagte nichts, und er sah jetzt ihre Augen ganz nah, sie schienen tot, waren glanzlos, nicht einmal der Schimmer der Zigarettenglut, die ihr nahe war, fing sich darin. Er sagte leise: »Danke«, wollte gehen, aber sie legte plötzlich ihre Hand auf seinen Unterarm, und er spürte eine heiße trockene Berührung: »Wasser«, sagte ihre Stimme heiser, »gib mir etwas Wasser.«
    »Da«, sagte sie, und die Zigarette zeigte auf einen Topf, der irgendwo auf dem Tisch stehen mußte. Es war eine braune Kaf- feekanne ohne Deckel, und er spürte, daß sie schwer war. Ihre
    Zigarette lag auf dem Boden, er trat sie aus und fragte leise:
    »Eine Tasse oder…«
    »Hier.« Er nahm das Glas, hielt es nahe unter den Ausguß der Kanne und füllte es. Sie riß es ihm aus der Hand, er spürte an der flüchtigen Bewegung und dem Ruck, mit dem sie das Glas an sich zerrte, etwas Widerwärtiges, und er hörte im Dunkeln die hastig schlürfenden Züge.
    »Mehr«, sagte sie.
    Er goß es wieder voll. Wieder riß sie ihm das Glas aus der Hand, wieder hörte er dieses Schlürfen, hemmungslos gierig, und er fühlte, daß die Kanne in seiner Hand leerer geworden
    war. Dann sank plötzlich ihr Kopf auf die Seite, das Kopftuch
    verrutschte, und ein dicker schwarzer Zopf wurde sichtbar. Er nahm das Glas vom Bett und schenkte sich selbst ein: das Was- ser schmeckte widerwärtig: lauwarm und nach Chlor. Er hörte die Kranke leise pfeifen im Schlaf und ging langsam wieder hinaus.
    Unten

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