Der Engel Schwieg.
Gips war. Der Schmutz hatte den Zügen die Hoheit des Originals verliehen, nachdem der Abdruck gegossen war –
aber er blies weiter, reinigte die Lockenpracht, die Brust, das
wallende Gewand und säuberte mit vorsichtigen spitzen Atem-
stößen die gipserne Lilie – die Freude, die ihn beim Anblick des lächelnden steinernen Gesichtes erfüllt hatte, erlosch, je mehr die grellen Farben sichtbar wurden, der grausame Lack der Frömmigkeitsindustrie, die goldenen Borden am Gewand – und das Lächeln des Gesichts erschien ihm plötzlich so tot wie das allzu wallende Haar. Er wandte sich langsam ab in den Flur hinein, um den Eingang zum Keller zu suchen. Das Klopfen seines Herzens hatte aufgehört.
Aus dem Keller kam ihm schwüle, säuerliche Luft entgegen; er ging langsam die schleimigen Stufen hinunter und tastete sich in ein gelbliches Dunkel hinein. Von irgendwoher tropfte es; die Flüssigkeit vermengte sich mit Staub und Schutt und machte die Stufen glitschig wie den Boden eines Aquariums. Er ging weiter. Aus einer Tür hinten kam Licht, endlich Licht. Rechts las er im Halbdunkel ein Schild: ›Röntgensaal, bitte nicht eintreten‹. Er kam dem Licht näher, es war gelb und sanft, sehr mild, und er erkannte am Flackern, daß es eine Kerze sein mußte. Nichts war zu hören, überall lag heruntergefallener Putz, Steinbrocken und der unkenntliche Dreck, der nach Angriffen überall herumlag: Türen waren aufgerissen, und er sah im Weitergehen in dunkle Räume, wo der flüchtige Lichtschimmer durcheinandergewirbel- te Stühle und Sofas erkennen ließ, plattgedrückte Schränke, aus denen irgend etwas herausquoll. Alles roch nach kaltem Rauch und nassem Dreck, und ihm war übel.
Die Tür, aus der das Licht kam, war weit offen. Neben der großen Kerze im eisernen Halter stand eine Nonne in dunkel- blauem Habit. Sie rührte in einer großen Emailleschüssel Salat
um; die vielen grünen Blättchen waren weißlich gefärbt, und er
hörte unten in der Schüssel die Soße leise schwappen. Die breite Hand der Nonne ließ die Blätter leise rundkreisen, manchmal fielen kleine feuchte Blättchen über den Rand hinaus, die sie ruhig auflas und wieder hineinwarf. Neben dem braunen Tisch stand eine große Blechkanne, aus der es heiß und flau nach schlechter Bouillon roch, es war der üble Geruch von heißem Wasser, Zwiebeln und irgendeiner Würfelmasse.
Er sagte laut: »Guten Abend.«
Die Nonne blickte sich erschreckt um, ihr flaches rosiges Ge- sicht zeigte Angst, und sie sagte leise: »Mein Gott, ein Soldat.« Von ihren Händen tropfte die milchige Soße und an ihren wei- chen Armen klebten ein paar winzige Salatblättchen…
»Mein Gott«, sagte sie wieder erschreckt. »Was wollen Sie, was ist los?«
»Ich suche jemand«, sagte er.
»Hier?«
Er nickte. Sein Blick war jetzt nach rechts gefallen, in einen offenen Schrank hinein, dessen Tür vom Luftdruck herausgeris- sen war: er sah den zerfetzten Rest der Sperrholztür noch in den Scharnieren hängen, und der Boden war mit abgebröckelten winzigen Lackstücken bedeckt. Im Schrank lag Brot. Viele Bro- te. Sie lagen flüchtig übereinandergestapelt, mindestens ein Dutzend bräunliche, faltig gewordene Brote. Das Wasser schoß ihm ganz schnell in den Mund: er würgte den Schwall hinunter und dachte: »Ich werde Brot essen. Brot, auf jeden Fall werde ich Brot essen.« Oberhalb des Stapels war ein grünlicher zerris- sener Vorhang, der noch mehr Brot zu verdecken schien.
»Wen suchen Sie denn?« fragte die Schwester.
Er wandte sich ihr zu. »Ich suche«, sagte er, aber er mußte erst die obere Tasche seiner Feldbluse öffnen, um den Zettel heraus- zuziehen. Er fingerte tief unten in der Tasche herum, nahm den Fetzen, entfaltete ihn und sagte: »Gompertz, Frau Gompertz, Elisabeth Gompertz.«
»Gompertz?« sagte die Nonne, »Gompertz? Ich weiß nicht…« Er sah sie voll an: Ihr breites blasses törichtes Gesicht war sehr unruhig, die Haut bewegte sich darüber, als sei sie zu lose ge- spannt, ihre großen wässerigen Augen sahen ihn ängstlich an.
Sie sagte: »Mein Gott, die Amerikaner sind doch hier. Sind Sie laufen gegangen? Man wird Sie kriegen…«
Er schüttelte den Kopf, starrte wieder auf das Brot und fragte leise: »Kann man feststellen, ob die Frau hier ist?«
»Gewiß«, sagte die Schwester, warf einen flüchtigen Blick auf
den Brotstapel, wischte sich die Salatblättchen und Soßensprit-
zer ab und fing an, mit einem Handtuch die Hände
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