Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
kam ihr etwas an der Behauptung dieser Mutter anders vor. Es war ein Gefühl, das sie nicht beschreiben konnte. Der Chief weigerte sich, den Anruf so ernst zu nehmen,wie Kitt es tat, und er verwies dabei auch auf ihre seelische Verfassung.
Eine Woche zuvor war Sadie beerdigt worden.
Und dann verstieß sie gegen eines der wichtigsten Gebote der Polizei: Sie ermittelte auf eigene Faust, indem sie sich nach Feierabend auf die Lauer legte. Nacht für Nacht wartete sie vor dem Haus des Mädchens, sie und die Schnapsflasche, deren Inhalt so mühelos die Kälte vertrieb.
Zumindest redete sie sich das ein, aber natürlich war es eine Lüge, denn in Wahrheit vertrieb die Flasche den Schmerz.
Nach einer Woche sah sie ihn, den Mann, der nicht in diese Nachbarschaft gehörte. Sie hätte Verstärkung anfordern können, doch stattdessen verfolgte sie ihn. Oder besser gesagt: Sie versuchte ihn zu verfolgen. Doch sie war mittlerweile viel zu betrunken. Nach ein paar Metern fiel sie hin, schlug mit dem Kopf irgendwo gegen und verlor das Bewusstsein. Als sie wieder aufwachte, war er längst verschwunden.
Er hatte ihnen jedoch nie eine zweite Chance gegeben, ihn zu fassen.
Der Chief war außer sich gewesen vor Wut. Der Engelmörder hätte sie töten oder ihr die Waffe entreißen und damit andere erschießen können.
Kitt konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt und darauf, was seine Worte bedeuteten: Er war wirklich der Engelmörder. Nur Sal und Brian wussten, was in jener Nacht geschehen war, niemand sonst. Und natürlich der Engelmörder selbst.
Ein weiteres Mädchen wurde ermordet, dann tauchte der Mörder unter und regte sich nicht wieder. Bis jetzt.
„Okay“, sagte sie, „ich glaube Ihnen. Wissen Sie, wer derTrittbrettfahrer ist?“
Er lachte zurückhaltend. „Vielleicht ja.“
„Dann sagen Sie es mir, und ich werde ihn aus dem Verkehr ziehen.“
„Aber so würde es doch keinen Spaß machen.“
Sie musste an Julie Entzel denken, an die Verzweiflung ihrer Eltern. Ihr Schluchzen hallte noch jetzt in Kitts Kopf nach.
„Ich wüsste nicht, was das alles mit Spaß zu tun haben sollte, Hurensohn!“
Ein Lachen kam als Reaktion darauf. Es klang, als sei er wirklich amüsiert. „Aber es ist jetzt mein Spiel, das gespielt wird. Und nun ist es Zeit, sich zu verabschieden.“
„Warten Sie! Wie soll ich Sie nennen?“
„Nennen Sie mich Peanut“, antwortete er mit sanfter Stimme.
Dann wurde die Verbindung unterbrochen.
12. KAPITEL
Donnerstag, 9. März 2006
7:25 Uhr
Kitt stand wie erstarrt da, das Telefon noch immer ans Ohr gedrückt. Sie rang nach Atem. Peanut. So hatten sie Sadie genannt, weil sie wegen ihrer Leukämie so schmal und zerbrechlich gewesen war.
Wie konnte dieses Monster es wagen, den Namen ihrer Tochter für sich zu beanspruchen? Es klang obszön, als er das Wort aussprach. Wäre er in ihrer Nähe gewesen, hätte sie sich wohl versucht gefühlt, ihn zu töten.
Sie steckte ihr Telefon weg und ging zügig zurück zum Wagen. Nachdem sie eingestiegen war, machte sie jedoch keine Anstalten, den Motor zu starten. Der Engelmörder spielte mit ihr. Irgendwie hatte er die Nummer ihres Mobiltelefons herausgefunden, die Grabstätte ihrer Tochter gefunden und auf dem Grabstein den Kosenamen gelesen. Er wusste, was er tun musste, um sie aus der Reserve zu locken.
Was wusste er noch alles über sie?
Alles. Jedenfalls musste sie davon erst einmal ausgehen, um auf alles gefasst zu sein. Er nannte das hier „Spaß“, ein „Spiel“. So wie jeder meisterliche Spieler hatte er sich die Mühe gemacht, alles über die Schwächen seines Mitspielers in Erfahrung zu bringen.
Sie atmete wieder tief durch und fühlte sich bereits etwas ruhiger. Diesem Anruf würde sie einfach keine große Bedeutung beimessen, doch sie musste Sal informieren.
„Sal, hier ist Kitt“, sagte sie, nachdem er sich auf seinem Mobiltelefon gemeldet hatte. „Er hat mich wieder angerufen.Ich komme jetzt ins Büro.“
Kitt traf kurz nach Sal im PSB ein und erwischte ihn noch, als er auf den Aufzug wartete. Nachdem sie beide die Kabine betreten und er den Knopf für das erste Stockwerk gedrückt hatte, wandte er sich ihr zu. „Und?“
„Er ist der Mörder, Sal. Er wusste von der Nacht, als ich ihn verfolgte und hinfiel … und warum ich hinfiel.“
„Und weiter?“, fragte er, während er eine verkniffene Miene machte.
„Er sagt, es wird noch ein Mädchen sterben.“
Als sich die Aufzugtüren öffneten, stiegen sie beide
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