Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
hundemüde.“
Während sie zur Tür ging, warf sie Lance Castrogiovanni noch einen Blick zu. Er bemerkte es und reagierte mit einem Lächeln, das sie prompt erwiderte. M.C. fragte sich, ob sie ihn wohl wiedersehen würde. Insgeheim hoffte sie, dass die Antwort darauf Ja lautete.
11. KAPITEL
Donnerstag, 9. März 2006
7:20 Uhr
Kitt stand vor dem Grab, die kalte Morgenluft ließ sie frösteln, während sie den Stein betrachtete.
Unserer geliebten Peanut
Sadie Marie Lundgren
10. September 1990 – 4. April 2001
Mindestens einmal in der Woche besuchte sie Sadies Grab und tauschte den vertrockneten Blumenstrauß gegen einen neuen aus. Heute waren es Margeriten. Kitt stand da und sah hinauf in den grauen Himmel, und mit einem Mal wünschte sie sich den Frühling herbei – einen Frühling mit strahlender Sonne und blauem Himmel.
„Es ist etwas Schlimmes passiert, Sweetheart. Er ist zurück … der Mann, der die Mädchen getötet hatte. Und ich …“
Sie versuchte, gegen die Tränen ebenso anzukämpfen wie gegen den Kloß, den sie plötzlich im Hals verspürte. Obwohl inzwischen so viel Zeit verstrichen war, wurde sie in Augenblicken wie diesem immer wieder von ihren Gefühlen überwältigt.
„Ich habe Angst“, fuhr sie fort. „Um andere Mädchen. Aber um mich auch. Ich kann nicht … ich kann nicht wieder zu trinken anfangen. Ich darf nicht zulassen, dass es … dass er noch einmal mein ganzes Leben beherrscht.“
Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „Es ist ja nicht so, als hätte ich …“ Sie verschluckte den Rest des Satzes, weil sie dieses Thema nicht anschneiden und ihr Kind nicht mitihren Problemen belasten wollte. „Ich hoffe, du bist glücklich. Und ich hoffe, es ist schön dort, wo du bist.“ Sie hielt inne. „Ich denke jeden Tag an dich, Baby. Ich liebe dich.“
Sie beugte sich vor und korrigierte die Lage der Blumen auf dem Grab. Es war jedes Mal aufs Neue entsetzlich, wieder gehen zu müssen. Wie sehr sie sich doch wünschte, ihre Tochter würde zu ihr zurückkehren, wenn sie hier nur lange genug auf Sadie wartete. Sie musste sich dazu zwingen, einen Schritt nach hinten zu machen, sich vom Grab abzuwenden und fortzugehen.
Als sie den Hauptweg erreichte, klingelte ihr Mobiltelefon. Während sie das Gespräch annahm, warf sie einen Blick über die Schulter zum Grab.
„Lundgren.“
„Hallo, Kitty.“
Ihre Nackenhaare richteten sich auf, als sie die tiefe Stimme hörte. Der Engelmörder! Woher hatte er diese Telefonnummer?
„Ich bin Ihnen gegenüber im Nachteil“, sagte sie. „Sie kennen meinen Namen, aber ich kenne Ihren nicht.“
„Sie wissen, wer ich bin.“
„Ich weiß nur, wer Sie angeblich sind.“
„Ja.“ Es folgte eine kurze Pause. „Und? Haben Sie getan, was ich Ihnen sagte?“
„Ich habe mit meinem Vorgesetzten gesprochen.“
„Und?“
„Er nimmt Ihre Forderung ernst.“
„Aber wohl nicht ernst genug, um Ihnen den Fall zu übertragen.“
„So läuft das nicht in einem Police Department.“
„Ein weiteres Mädchen wird sterben“, erklärte er. „Siekönnen es verhindern.“
„Wie?“, fragte sie. Ihr Herz schlug schneller, ihre Handflächen waren schweißnass. „Wie kann ich es verhindern?“
„Ich habe perfekte Verbrechen begangen. Jetzt ist ein billiger Nachahmer am Werk. Er wird schnell handeln, zu schnell. Und er wird nicht planen. Dieser Trittbrettfahrer kennt meine Geheimnisse nicht.“
„Was für Geheimnisse sind das?“ Sie hielt das Telefon fester, während sie versuchte, ihrer Stimme nichts von ihrer Aufregung anmerken zu lassen. „Verraten Sie sie mir, damit ich helfen kann.“
„Ich kenne Ihr Geheimnis, Kitt.“
Sein Tonfall hatte etwas Verschlagenes angenommen. Kitt machte eine ratlose Miene. „Welches Geheimnis meinen Sie?“
„Sie hätten mich festnehmen können, aber Sie waren betrunken. Darum fielen Sie damals hin. Es war ein dummer Fehler meinerseits, Sie überhaupt so nah an mich heranzulassen. Aber ich habe ihn nicht wiederholt.“
Kitt brachte keinen Ton heraus. Die Erinnerungen wurden geweckt und drohten, sie zu überwältigen. Im Department hatte eine besorgte Mutter angerufen, die davon überzeugt war, der Engelmörder habe es auf ihre Tochter abgesehen und verfolge sie.
In dieser Zeit waren unzählige ähnliche Anrufe eingegangen. Das Department ging jedem Hinweis nach, doch die Polizei von Rockford war einfach nicht in der Lage, auf alle neun- und zehnjährigen Mädchen in der Stadt aufzupassen.
Dennoch
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