Der Engelspapst
gefangen hatten, waren es seine Worte, die für den nächsten Aufruhr sorgten.
Seine Heiligkeit präsentierte der Öffentlichkeit die Wahre Ähnlichkeit Christi und berichtete von der Bedeutung des Smaragds. «Wird die Menschheit diese Botschaft verkraften?», fragte Elena am Abend, als sie sich mit Alexander eine Aufzeichnung der Pressekonferenz ansah. «Werden die Christen zusammenfinden oder sich noch weiter spalten? Werden die Fundamentalisten im Islam eine Chance wittern, den Heiligen Krieg gegen alle Ungläubigen auszurufen?»
Sie waren zu Elenas Wohnung gefahren. Elena hatte darum gebeten, als sie erwacht war; sie hatte mit ihm allein sein wollen.
«Der Heilige Vater hat gewusst, was er tat», erwiderte Alexander, der sich den ganzen Tag über dieselben Fragen gestellt hatte. «Natürlich haben ihn die Umstände dazu gedrängt, Hals über Kopf an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie sonst sollte er die Festnahme hochrangiger Kardinäle, des Vatikansprechers, des kommissarischen Gardekommandanten, des Gardekaplans und des Generalinspektors der Vigilanza erklären? Vielleicht ist es gut so. Ein heilsamer Schock kann zuweilen mehr bewirken als ein quälend langsamer Prozess. Er wird die Menschen überzeugen. Wenn es einen Engelspapst gibt, dann ist es Custos!»
Elena griff zur Fernbedienung, schaltete den Fernseher aus und sah Alexander an. «Hast du auch einen heilsamen Schock erlebt?»
«Ja», sagte er nachdenklich. «Ich weiß jetzt, dass ich keinem Vater und keiner Vergangenheit nachtrauern muss. Was mit Markus Rosin auch geschehen mag, für mich wird es das Schicksal eines Fremden sein.»
Sie sah ihn prüfend an. «Das klingt verbittert.»
«Nein, nicht verbittert.» Er lächelte und es war ein offenes, ehrliches Lächeln. «Verbittert war ich, als wir die Zusammenkunft des Zirkels belauscht haben und ich erkennen musste, wer das Haupt der Zwölf war. Da habe ich mich von meinem Vater verraten gefühlt. Inzwischen weiß ich, dass dieser Mann schon lange nicht mehr mein Vater war. In gewisser Hinsicht bin ich froh über die Erkenntnis. Ich wünschte nur, es hätten nicht so viele Menschen dafür ihr Leben gelassen.»
«Nach allem, was du für den Papst getan hast, ist dein Aufstieg an die Spitze der Schweizergarde sicher, Alexander.
Du wirst Gelegenheit haben, den Namen Rosin rein zu waschen.»
Er schüttelte den Kopf. «Das habe ich bereits getan, mehr als genug, denke ich. Im nächsten Jahr hätte ich meine Dienstzeit verlängern müssen, was ich jedoch nicht tun werde. Mehr noch, ich werde Seine Heiligkeit um vorzeitige Entlassung bitten. Zu viele ungute Erinnerungen sind mit dem Namen Rosin verbunden, ich werde die Familientradition beenden.»
«Und dann? Was hast du vor?»
«Ich denke, ich werde mich dem Journalismus zuwenden.
Bevor ich nach Rom kam, habe ich zwei Semester Journalistik studiert. Mit meinem Hintergrundwissen als Exgardist könnte ich doch einen passablen Vatikanisten abgeben. Natürlich muss ich den Job von der Pike auf lernen, am besten bei einer Meisterin des Fachs. Du brauchst jetzt ja wohl einen neuen Rechercheur, Elena.»
Sie blickte ihn ungläubig an. «Du willst mich verkohlen, oder?»
«Ganz im Gegenteil, ich habe es noch nie so ernst gemeint.»
Er nahm sie in die Arme und küsste sie, und das Schicksal der Menschheit erschien auf einmal vollkommen unbedeutend.
Die ganze Nacht über lagen sie sich in den Armen und hielten einander einfach nur fest. Und jeder von ihnen wusste, dass er in dieser kleinen Ewigkeit alles hatte, was er brauchte, was er sich wünschte. Wäre es möglich gewesen, hätten sie die Zeit angehalten. Aber das Tageslicht, das die Dachwohnung irgendwann durchflutete, schwemmte die Illusion eines abgeschlossenen Mikrokosmos hinweg.
Nur widerwillig löste Alexander sich aus der Umarmung und ging zum Fenster. Das Erste, was ihm auffiel, war der strahlend blaue Himmel, an dem nicht die kleinste Wolke zu sehen war.
Die Sonne lachte, als wollte sie die vielen trüben Wochen, die Rom gesehen hatte, an einem Tag vergessen machen. Er blickte den Hügel hinunter auf die Stadt, sah Autos, Busse und einen Milchauslieferer, dessen kleiner Transporter den Gianicolo heraufzuckelte.
«Und?», fragte Elena zaghaft, als er zu ihr zurückkam. Sie sah ihn an wie den Engel des Jüngsten Gerichts.
Er schloss sie wieder in die Arme und sagte lächelnd: «Rom lebt!»
Nachbemerkung des Autors
Die Schweizergarde der Päpste, heute gerade mal hundert Mann stark, ist
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