Der Engländer
der anderen die der Union Bank of Switzerland. Ein auffliegender Taubenschwarm durchbrach die Stille. Gabriel überquerte die Fahrbahn.
Vor dem Hotel Savoy befand sich ein Taxistand. Nachdem er sich zuvor mit einem kurzen Blick das Kennzeichen eingeprägt hatte, stieg er in den ersten Wagen. Er nannte dem Fahrer die Adresse der Villa und bemühte sich dabei, den von seiner Mutter geerbten Berliner Akzent so gut wie möglich zu unterdrücken.
Als sie über den Fluß fuhren, stellte der Fahrer das Autoradio an. Ein Sprecher verlas Nachrichten aus aller Welt. Gabriel hatte große Mühe, sein Züridütsch zu verstehen. Er blendete das Radio aus und konzentrierte sich auf die vor ihm liegende Aufgabe. In der Kunstwelt gab es Leute, die Restaurierungen für stupide, langweilige Arbeit hielten, aber Gabriel sah jeden Auftrag als neues Abenteuer, als Chance, durch einen Spiegel in eine andere Zeit, an einen anderen Ort zu gelangen. An einen Ort, an dem Erfolg oder Mißlingen nur von seinen eigenen Fähigkeiten, seiner eigenen Kaltblütigkeit und sonst nichts abhingen.
Er fragte sich, was ihn erwarten mochte. Allein die Tatsache, daß der Besitzer des Gemäldes ausdrücklich ihn angefordert hatte, legte den Schluß nahe, daß es sich nur um einen Alten Meister handeln konnte. Der Besitzer hätte sich nicht die Mühe gemacht und die Kosten auf sich genommen, ihn nach Zürich kommen zu lassen, wenn sein Bild nur frisch gefirnißt werden mußte.
Wie lange würde er also hier sein? Sechs Wochen? Sechs Monate? Schwer zu sagen. Jede Restaurierung war anders; viel würde vom Zustand des Gemäldes abhängen. An Isherwoods Vecellio hatte er fast ein Jahr lang gearbeitet - allerdings mit einer kurzen Unterbrechung mitten während der Restaurierung, zu der Ari Schamron ihn überredet hatte.
Der Rosenbühlweg war eine schmale Straße, die steil den Zürichberg hinaufführte, gerade breit genug für zwei Autos. Die behäbigen alten Villen standen dicht beieinander. Rauhputz, Ziegeldächer, kleine, dicht bewachsene Gärten. Bis auf die Villa, vor der sein Taxi jetzt hielt.
Im Gegensatz zu den benachbarten Villen stand sie auf einem Geländevorsprung mehrere Meter von der Straße entfernt. Ein hoher Metallzaun, dessen Stäbe an Gefängnisgitter erinnerten, umgab das gesamte Grundstück. In diesen Zaun war zum Rosenbühlweg hin ein Sicherheitstor mit der dazugehörigen Überwachungskamera eingelassen. Hinter dem Tor stieg eine Natursteintreppe an. Dann kam die Villa: ein deprimierender Sandsteinbau mit Türmchen und einem hoch aufragenden Säulenvorbau über dem Eingang.
Das Taxi fuhr davon. Unter ihm lagen die Züricher Innenstadt und der Zürichsee. Wolken verhüllten das gegenüberliegende Ufer. Gabriel erinnerte sich daran, daß an klaren Tagen von hier aus die Alpen zu sehen waren, aber heute waren sie ebenfalls in Wolken gehüllt.
In die linke Torsäule war eine Sprechanlage eingelassen. Er drückte auf den Klingelknopf, hörte hinter der Haustür einen Gong anschlagen, wartete. Nichts. Er drückte nochmals auf den Knopf. Wieder nichts.
Er zog das Fax des Anwalts, das Julian Isherwood ihm gegeben hatte, aus der Tasche. Sie finden sich morgens um Punkt neun Uhr vor dem Haus ein. Klingeln Sie am Tor, dann werden Sie hineinbegleitet. Gabriel sah auf seine Uhr. Drei Minuten nach neun.
Als er das Fax wieder einsteckte, begann es zu regnen. Er sah sich um: nirgends ein Café, in dem er behaglich hätte sitzen können, nirgends ein Park oder Platz, der ihm Schutz vor dem Regen hätte bieten können. Nur eine Wüste aus ererbtem bodenständigem Reichtum.
Blieb er zu lange vor dem Villentor stehen, würde er wahrscheinlich als verdächtiger Herumtreiber verhaftet werden.
Gabriel zog sein Handy aus der Tasche und gab Isherwoods Nummer ein. Um diese Zeit war er vermutlich noch auf der Fahrt in seine Galerie. Während Gabriel darauf wartete, daß die Verbindung zustande kam, stellte er sich vor, wie Isherwood am Lenkrad seines glänzenden neuen Jaguars hockte und über den Piccadilly kroch, als steuere er einen Tanker durch gefährliche Untiefen.
»Tut mir leid, aber es hat eine kleine Änderung gegeben. Der Mann, der dich einlassen sollte, mußte offenbar unerwartet verreisen. Wegen irgendeines Notfalls. Er hat nur vage
Andeutungen gemacht. Du weißt, wie die Schweizer sein können, Schätzchen.«
»Was soll ich jetzt tun?«
»Er hat mir die Sicherheitscodes für Tor und Haustür geschickt. Du sollst sie benützen und einfach
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