Der Erdbeerpfluecker
heraus.
»Ja?«
Ich ignorierte ihre Unfreundlichkeit. »Zwei Kilo Erdbeeren, bitte«, sagte ich.
Wortlos stellte sie vier blaue, bis zum Rand gefüllte Plastikschalen auf die Fensterbank. Hinter ihr konnte man eine wild geblümte Tapete und einen altmodischen dunklen Küchenschrank sehen.
»Wie viel?«, fragte ich. Einige Jahre in diesem Dorf, und ich würde es verlernen, in vollständigen Sätzen zu sprechen.
»Fünf Euro.«
Ich bezahlte, das Fenster wurde geschlossen und ich kehrte in die Schläfrigkeit der Dorfstraße zurück.
Die Erdbeerpflücker waren offenbar alle auf den Feldern. Ausgeschwärmt wie große bunte Vögel.
Ein Wort wie aus einem Gedicht, dachte ich. Erdbeerpflücker.
Ich hatte vergessen, den Einkaufskorb meiner Mutter mitzunehmen, und hielt die vier Schalen vor dem Bauch gestapelt, eine reichlich wacklige Angelegenheit. Die Früchte waren prall und rot. Ihr Duft umhüllte mich wie ein Parfüm.
Der alte Hund vor der Kirche war wach. Er klopfte kraftlos mit der Schwanzspitze auf den Boden und sah mich an, als ich vorbeiging.
»Hallo, du«, sagte ich und er schien es gehört zu haben, denn er winselte leise.
Hätte ich nicht die Schalen vorm Bauch getragen, hätte ich ihn vielleicht trotz seines stumpfen schwarzen Fells gestreichelt. Wahrscheinlich tat das sonst niemand. Ich fühlte, wie sein Blick mir folgte, und versuchte, das Schuldgefühl, das in mir aufstieg, zu unterdrücken.
Zu Hause stellte ich die Erdbeeren in der Küche ab und ging wieder auf die Terrasse hinaus. Der kleine Ausflug hatte mir gut getan. Meine Zehen in den Sandalen fühlten sich warm und staubig an. Mein Körper war wie voll gesogen mit Sonne. Ich legte den Kopf zurück und schloss die Augen.
Mutter und Großmutter hatten ihren Schlagabtausch beendet und unterhielten sich friedlich. In den Bäumen rätschten die Vögel. Ab und zu blökte ein Schaf. Von weitem hörte man das Tuckern eines Traktors.
Irgendwann, das hatten Caro, Merle und ich uns vorgenommen, würden wir für ein Jahr nach London ziehen. Doch bis dahin war ich froh, in dem kleinen beschaulichen Bröhl zu wohnen und ab und zu hierher aufs Land zu kommen.
Die Hektik einer Großstadt war für ein paar Stunden etwas Wunderbares. Doch dann machte sie mich nervös. Es kam mir oft so vor, als wäre ich zu spät geboren worden. Als gehörte ich in Wirklichkeit in ein ganz anderes Jahrhundert.
Bert sah seiner Frau dabei zu, wie sie geschäftig in der Küche auf und ab ging. Er liebte es, ihr beim Kochen zuzuschauen. Ihre Bewegungen waren so sparsam, so sicher und so voller Anmut.
Sie hatte es nicht gern, wenn er solche Gedanken aussprach. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn er über sie redete. Es war ihr peinlich, im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit zu stehen.
Ihre spröde Art war es gewesen, die ihn damals vor allem angezogen hatte. Ihre Zurückhaltung, die fast schon an Kälte grenzte.
Eismädchen
hatte er sie bei sich genannt. Und er hatte nur den einen Wunsch gehabt, die Eisschicht aufzubrechen, unter der sie sich verschanzte.
Aufbrechen, dachte er. Meine Sprache ist selbst dann von Gewalt geprägt, wenn es um die Liebe geht.
Es hatte lange gedauert, bis die Eisschicht geschmolzen war. Und sie war niemals ganz und gar verschwunden. Die Augenblicke vollkommenen Einsseins waren womöglich immer nur eine Illusion gewesen.
Bert trank seinen Kaffee und vertiefte sich wieder in die Lektüre der Zeitung. Morgens überflog er sie nur, um über die wichtigsten Dinge informiert zu sein. Erst am Abend kam er dazu, sie gründlich zu lesen.
Der Mordfall war bereits von der ersten Seite verdrängt worden. Die öffentliche Aufmerksamkeit verflog rasch und wandte sich neuen Themen zu. Bis sich ein Journalist entschloss, das Interesse wieder anzuheizen.
Eine anstrengende Zeit, dachte Bert, kompliziert, laut und schnell. Und wenn man das Tempo nicht mithalten kann, wird man aus dem Spiel gefegt und andere bringen es zu Ende.
»Broccoli oder Salat?«
Er sah auf, verwirrt. »Was?«
»Ob du Broccoli oder Salat haben möchtest.« In letzter Zeit klang Margots Stimme häufig vorwurfsvoll.
»Egal.«
Am Anfang ihrer Beziehung hatten sie lange darüber geredet, welche Rollenverteilung die richtige wäre. Sie hatten sich dafür entschieden, dass Margot zu Hause bei den Kindern bleiben und Bert den Haushalt finanziell versorgen würde.
Margot selbst hatte das so gewünscht. Weil sie die Verantwortung für die Kinder nicht abgeben wollte. Nicht
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