Der Erdbeerpfluecker
Männerstimme.
Es gab Augenblicke, in denen die verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit nicht zusammenpassten. Dies war so ein Augenblick. Mord und Musik. Gab es größere Gegensätze?
Er hatte sie im Traum gesehen.
Da war sie noch lebendig gewesen. Und so unvorstellbar jung.
Sie hatte gelacht. Hatte den Kopf in den Nacken gelegt und gelacht.
Ihr Lachen hatte er ganz besonders geliebt.
Und ihren ßbermut. ßberschäumend war sie gewesen. Und so hatte sie auch gelebt.
Sie hatte ihn daran erinnert, wie es sein konnte, wenn man glücklich war. Es hatte Momente gegeben, in denen er es gespürt hatte.
Fädle die Momente zu einer Kette auf und häng sie dir um den Hals, dachte er im Traum. Damit du sie nie vergisst.
Es wäre ihm fast gelungen. Doch dann war er wach geworden. Und die Tränen waren ihm über die Wangen gelaufen.
Er vermisste sie. Oh Gott! Wie sehr er sie vermisste.
Kapitel 9
Er wirkte nicht wie einer von der Kripo, jedenfalls nicht so, wie ich mir einen von der Kripo vorgestellt hatte. Obwohl er sehr genau beobachtete. Er hatte ein waches, aufmerksames Gesicht mit wachen, aufmerksamen Augen.
Merle bot ihm einen Kaffee an und er stand auf und trat hinter sie, weil ihn die Espressomaschine faszinierte. Seine Nähe brachte Merle in Verlegenheit. Sie war militante Tierschützerin. Zwischen ihnen lagen Welten.
Trotzdem erklärte sie ihm auf seine Fragen hin die einzelnen Funktionen der Maschine. Ihre Stimme klang anders als sonst und sie machte nach so gut wie jedem Satz eine Pause. Wenn Merle so redete, dann war sie auf der Hut.
»Ein Wunderwerk der Technik«, sagte er beeindruckt, nahm Merle die erste Tasse ab, trug sie zum Tisch, stellte sie vor mich hin und setzte sich auf den Stuhl links neben mir.
Auch Merles Bewegungen hatten sich verändert. Sie waren hektisch und ungenau. Kaffee schwappte über. Als sie ihn aufwischen wollte, fiel ihr das Tuch aus der Hand.
So macht man sich verdächtig, dachte ich. Er muss ja merken, dass irgendwas mit ihr nicht stimmt. Aber wahrscheinlich glaubte er, Merle stünde immer noch unter Schock, und möglicherweise war das auch so. Wir wussten beide nicht, wie wir den Tag überstehen sollten.
Er probierte es gar nicht erst mit Smalltalk. »Wie geht es Ihnen?«, fragte er.
Es gab keine Antwort auf seine Frage. Weil es kein Wort gab, um den Zustand zu beschreiben, in dem wir uns befanden.
Merle, die sich zu uns gesetzt hatte, hob die Schultern.
Er nickte. »Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist.«
»Ach, haben Sie auch jemanden verloren?«, fragte Merle. Sie sah ihm in die Augen. Ich kannte diesen Blick an ihr. Er war die reine Provokation. Wollte sie jetzt mit ihm Streit anfangen?
»Nein.« Er erwiderte ihren Blick gelassen. »Aber ich habe viel mit Menschen in Ihrer Lage zu tun.«
Merle hob ihre Tasse an den Mund. Ihre Hand zitterte und sie setzte die Tasse wieder ab.
»Ich bin gekommen, um Ihnen einige Fragen zu stellen«, sagte er. »Und dann würde ich mir gern Caros Zimmer noch einmal anschauen.«
Dabei hatten seine Leute das bereits überaus gründlich getan. Und er war dabei gewesen. Alles hatten sie angefasst, jedes Möbelstück verrückt, jedes Buch aufgeschlagen. Besonders für Caros Fotoalbum hatte der Kommissar sich Zeit genommen.
Caro auf den Bildern war so lebendig gewesen und so vertraut. Als hätte jeden Moment die Tür aufgehen können und sie wäre hereinspaziert. Ratet mal, wer mir gerade über den Weg gelaufen ist!
»Sie wissen ja, wo ihr Zimmer ist.« Ich hatte keine Lust, ihn zu begleiten, und Merle ebenso wenig.
»Schnüffler«, sagte sie abfällig, als er in Caros Zimmer verschwunden war. »Sogar ihr Tagebuch haben sie mitgenommen. Dürfen die das überhaupt?«
»Keine Ahnung. Aber wenn es ihnen weiterhilft. Du willst doch auch, dass dieser Kerl gefasst wird.«
Merle sah mich mit einem wilden Ausdruck in den Augen an. »Ich würde das Schwein am liebsten erschießen.«
»Wollen Sie das nicht lieber uns überlassen?« Wir hatten den Kommissar nicht wieder hereinkommen hören. Er setzte sich zu uns an den Tisch.
»Sie wollen Caros Mörder erschießen?«, fragte Merle. Sie schien sich unbedingt mit ihm anlegen zu wollen.
»Das nicht«, antwortete er ruhig. »Aber wir werden dafür sorgen, dass er bestraft wird.«
»Fünfzehn Jahre in einer hübschen Einzelzelle, mit Büchern und Fernseher, ausgewogener Ernährung, ärztlicher Verpflegung und allem, was er sonst noch so braucht? Und dann vorzeitige
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