Der Erdbeerpfluecker
Entlassung wegen guter Führung? Oder vielleicht nur drei Jahre Psychiatrie wegen verminderter Schuldfähigkeit?«
»So angenehm wird sein Leben in Haft nicht sein«, sagte der Kommissar. »Schon eine verschlossene Tür und ein vergittertes Fenster können einen Menschen wahnsinnig machen.«
»Und hinterher schreibt er seine Memoiren und tritt als Überraschungsgast in sämtlichen Talkshows auf?« Merle schob heftig ihren Stuhl zurück und stand auf. »Stecken Sie sich ihre Strafe doch sonst wohin.« Und damit verließ sie die Küche. Ich sah ihr nach und überlegte, was ich tun sollte. Ihr nachlaufen? Hier sitzen bleiben?
»Lassen Sie ihr Zeit«, sagte er.
»Sie ist eigentlich nicht so«, erklärte ich ihm. »Sie hasst Gewalt und ist ein absoluter Gegner der Todesstrafe. Sie lehnt sogar den normalen Strafvollzug als grausam ab. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist.«
Noch während ich redete, merkte ich, dass ich nicht die Wahrheit sagte. Merle akzeptierte Gewalt, sofern sie für eine gute Sache eingesetzt wurde. Sie hatte sich sehr verändert, seit sie sich den militanten Tierschützern angeschlossen hatte. In abenteuerlichen Nacht- und Nebelaktionen befreiten sie Tiere aus Versuchslaboren, und wenn ihnen dabei jemand in die Quere kam, hatten sie keinerlei Bedenken, kurzen Prozess mit ihm zu machen und ihn niederzuschlagen. Doch das konnte ich diesem Mann, der zur Gegenseite gehörte, unmöglich erzählen.
»Ich will gern versuchen, Ihre Fragen zu beantworten«, schlug ich ihm vor. »Und wenn wir Merle brauchen, dann hole ich sie wieder zurück.«
Damit war er einverstanden. Er wollte so gut wie alles wissen. Wie war Caros Verhältnis zu ihrer Familie gewesen? Wie ihre Kontakte in der Schule? Hatte sie in ihrer Freizeit gejobbt? Hatte sie ein geregeltes Leben geführt? Was wusste ich über ihr Liebesleben? Hatte sie einen festen Freund gehabt? Und waren uns in letzter Zeit Veränderungen an Caro aufgefallen? »Es können Kleinigkeiten sein, die Ihnen womöglich ganz unwichtig erscheinen.«
»Sie war nicht glücklich«, sagte ich. »Obwohl sie frisch verliebt war. Es gab da ein Problem.«
Sein Blick wurde wachsam und ich erzählte ihm von diesem seltsamen Freund, den Caro gehabt hatte. Von ihrer Befürchtung, er könnte schwul sein, und davon, dass sie seinen Namen nicht gekannt hatte.
Es hörte sich verrückt an, aber das war es ja auch.
Ich erzählte, dass Caro sich immer neue Namen für ihn ausgedacht hatte. Dass er ihr verboten hatte, über ihre Beziehung zu sprechen. Und dass er von ihr verlangt hatte zu warten.
»Zu warten? Worauf?«
Es war mir peinlich, mit einem fremden Mann darüber zu reden. Ich druckste herum. »Er hat sie nicht... angerührt«, sagte ich und spürte, wie ich rot wurde.
»Ah ja.« Der Kommissar ließ den Blick durch die Küche wandern und gab mir so die Gelegenheit, mich wieder zu fangen. »Wie lange haben sie sich denn gekannt, Caro und dieser junge Mann?«
»Ein paar Wochen, ich weiß nicht genau. Ich weiß auch nicht, ob der Mann jung ist.« Tatsächlich wusste ich erbärmlich wenig über ihn, und ich bereute es zutiefst, dass ich Caro nicht gedrängt hatte, mir mehr zu verraten.
Der Kommissar beobachtete mich. Ich konnte mir ausmalen, was er dachte. »Es ist nicht so, als hätten wir aneinander vorbeigelebt«, versuchte ich ihm zu erklären. »Wir haben über alles geredet. Aber jeder redete erst dann, wenn er das Bedürfnis danach hatte. Wissen Sie, das ist es, was unser Leben hier von dem Leben bei unseren Eltern unterscheidet - keiner zwingt uns zu irgendwas.«
»Wie oft hat Caro sich mit dem Mann getroffen?«, fragte der Kommissar.
Ich hob die Schultern. »Sie hat zum ersten Mal aus einem Typen ein Geheimnis gemacht.«
»Sie sagen, Sie wüssten nicht, ob der Mann jung sei. Heißt das, sein Alter ist schwer zu schätzen?«
»Nein. Es heißt, dass wir ihn nie gesehen haben, Merle und ich.«
»Er war niemals hier in der Wohnung?«
»Doch. Er hat ab und zu hier übernachtet. Aber er ist uns nicht über den Weg gelaufen.«
»Was meinen Sie - warum wollte Caro ihn vor Ihnen verstecken?«
»Er hat ihr doch verboten, über ihn zu sprechen.«
»Hat sie Ihnen verraten, warum?«
»Er wollte erst Sicherheit. Genau wissen, dass es sich bei ihnen beiden wirklich um Liebe handelte.«
Darüber dachte der Kommissar eine Weile nach. Draußen fuhr mit heulender Sirene ein Polizei- oder Rettungswagen vorbei. Zu spät, dachte ich. Niemand kann Caro mehr
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