Der Erdbeerpfluecker
mitgenommen. Sie bedeuteten ihm immer noch viel. Er konnte sich kaum überwinden, sie wegzuschaffen. Aber es musste sein. Sie brachten ihn unnötig in Gefahr.
Allerdings hatte er beschlossen, sie nicht zu vernichten. Das hätte er nicht übers Herz gebracht. Er wollte sie vergraben. Irgendwo auf dem Land, wo niemand ihn beobachten würde, wo niemand ihn kannte.
Die Tüte in der Jackentasche verstaut, verließ er das Haus, setzte sich in seinen Wagen und fuhr los. Er würde einen neuen Anfang machen. Seine Vergangenheit im wörtlichen Sinne begraben. Um frei zu sein. Um sich endgültig zu binden. Für die Ewigkeit.
Es erstaunte Bert immer wieder zu sehen, wie unterschiedlich die Beobachtungsgabe der Menschen ausgeprägt war. Manche nahmen so gut wie gar nichts außerhalb ihrer eigenen engen Welt wahr, manche interessierten sich glühend für alles, was rings um sie her geschah. Die einen speicherten ihre Wahrnehmungen für eine Weile, andere vergaßen sie sofort. Und dann gab es welche, die bewahrten jedes Detail im Gedächtnis. Das waren die, ohne die Polizeiarbeit nicht funktionieren würde.
Frauen, hatte Bert festgestellt, waren fast immer präziser als Männer. Allerdings lenkten ihre Berichte oft vom Wesentlichen ab, zerfaserten sich und wurden beliebig. Man musste sie dann wieder zum Thema zurücklenken.
Margot fand seine Ansicht typisch männlich. Das hatte sie ihm neulich vorgeworfen. Sie hatte ihn damit verletzt, denn sie war nicht bereit gewesen, sich mit ihm darüber auseinanderzusetzen.
Bert begriff nicht, was an der Tatsache typisch männlich sein sollte, dass er die Beobachtungsgabe von Frauen höher einschätzte als die von Männern.
»Weil du nicht zuhörst«, hatte sie ihn angefaucht. »Es sei denn, man hat einen Mord begangen oder ist wenigstens in einen Mordfall verwickelt.«
Bauer Kalmer hatte Bert sein Büro zur Verfügung gestellt, einen dunklen, freudlos wirkenden Raum, in dem das Angenehmste der Duft nach Erdbeeren war, der durch das geöffnete Fenster drang.
Eine Erdbeerpflückerin nach der anderen betrat das kleine Zimmer, in dem Bert mit seinen Fragen wartete. Sie alle trugen ihre Arbeitskleidung, eine bunt zusammengewürfelte Mischung aus leichten Sommersachen. Manche schienen ganz froh über eine kurze Unterbrechung der Arbeit, andere hatten es eilig, wieder aufs Feld zu kommen. Sie wurden nach Leistung bezahlt, nicht nach der Uhr.
Bert fand es anständig, die Menschen in ihrer gewohnten Umgebung zu befragen. Es gab Kollegen, die das anders sahen, die die Befragten unter Druck setzten, um schneller voranzukommen. Und Druck, das war eine Binsenweisheit, ließ sich am besten in einem fremden Umfeld erzeugen.
»Du wirst nie ein richtiger Bulle«, hatte Margot früher oft gesagt, und es hatte liebevoll und wie ein zärtliches Lob geklungen. Das hatte er lange nicht mehr gehört. Bestimmt klänge es heute enttäuscht.
Er stellte seine Fragen und hörte zu. Sein Hauptinteresse galt den Frauen, die schon vor der Erntezeit hier angekommen waren. Simone Redleff war bereits Anfang Juni ermordet worden.
Im April waren erst elf Arbeiter und zehn Arbeiterinnen auf dem Hof gewesen. Bauer Kalmer hatte Bert eine Liste mit ihren Namen gegeben.
Mit den Männern hatte Bert sich bereits unterhalten. Bei keinem war ihm irgendetwas aufgefallen, was ihn zu weiteren Schritten veranlasst hätte.
Sind Sie mit einigen Mitarbeitern befreundet? Gibt es Kollegen, die Sie nicht mögen? Wissen Sie von Spannungen zwischen den Einzelnen? Haben Sie Beobachtungen gemacht, die Ihnen im Nachhinein sonderbar vorkommen?
So hatte er beim ersten Mal nicht gefragt. Da war er nicht ins Detail gegangen, hatte die persönliche Ebene nicht berührt. Das war ein Fehler gewesen. Er hätte von Anfang an seinem Instinkt trauen sollen. Aber sein Instinkt hatte in diesem Fall gleichzeitig ein Vorurteil bestätigt.
Nehmt die Wäsche von der Leine! Der Zirkus kommt!
Zwei Namen tauchten in den Aussagen der Frauen mehrfach auf: Malle Klestof und Georg Taban. Der eine wurde von den meisten Frauen als unheimlich beschrieben, der andere als nett, manchmal jedoch etwas lästig.
Die beiden Männer waren, wie die Frauen erzählten, miteinander befreundet. Nicht richtig, nicht eng, aber sie waren Kumpel, die ab und zu einen hoben, ab und zu ins Kino gingen oder in eine Bar, wie Kumpel das halt so machten.
»Dabei passen sie überhaupt nicht zusammen.« Auch dieser Satz wiederholte sich.
Bert entspannte sich. Die
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