Der Erdbeerpfluecker
Weg gehen«, schlug ich vor. »Das reinigt die Atmosphäre.«
Sie holte Luft, um mir eine patzige Antwort hinzupfeffern, dann überlegte sie es sich anders, ließ mich stehen und lief aus der Wohnung.
Es war nicht meine Absicht gewesen, sie zu verletzen. Ich konnte mich aber auch nicht dazu aufraffen, ihr nachzulaufen. Ich beschloss, mir ein Bad einlaufen zu lassen, mich in die Wanne zu legen und zu lesen. Und an Gorg zu denken.
Vielleicht konnte ich ihn heute Abend dazu überreden, so bald wie möglich mal zu uns zum Essen zu kommen. Wenn Merle ihn erst kennen gelernt hätte, würde sie ihn mögen. Und mich verstehen.
Ich hätte Gorg längst mit aller Welt bekannt gemacht. Wenn er nicht so davor zurückgeschreckt wäre. Kein Wunder, bei der traurigen Kindheit, die er gehabt hatte. Seine Großeltern hatten ihm keine Freundschaften erlaubt. Er hatte nie einen Schulkameraden zu sich nach Hause einladen dürfen. Nicht mal zum Geburtstag. Klar, dass solche Erfahrungen einen Menschen prägten.
Der Schaum kribbelte auf meiner Haut, als ich mich in dem nach Orangenblüten duftenden Wasser ausstreckte. Ich schloss die Augen und stellte mir Gorgs Gesicht vor.
Ich würde Geduld mit ihm haben.
Und ihn lieben, lieben, lieben.
Bis dass...
In der Erinnerung hörte ich Caro den Satz sagen, den ich nicht zu Ende denken wollte. Und jetzt sah ich auch ihr Gesicht, das sich vor Gorgs Gesicht geschoben hatte. Ihr Gesicht, wie es in der Leichenhalle gewesen war.
Im heißen Wasser lief mir plötzlich ein Schauder über den Rücken.
Merle flüchtete sich nicht in Claudios Arme und war ganz stolz darauf. Sie besuchte stattdessen Dorit und Bob, ihre engsten Freunde unter den Tierschützern. Ihr war nach Gesellschaft und gleichzeitig nach Alleinsein. Bei Dorit und Bob war das kein Widerspruch.
Die beiden lebten seit einem halben Jahr zusammen in einer Wohnung, in der jedes der winzigen Zimmer in ein anderes überging, sodass man zum Schluss in dem Raum wieder herauskam, in dem man den Rundgang begonnen hatte.
»Tee?«, fragte Bob und nahm schon den Wasserkocher hoch, um ihn zu füllen.
Merle nickte und setzte sich auf das abgewetzte Küchensofa.
»Wenn du reden willst...« Dorit ließ den Satz in der Schwebe und öffnete den Schrank, in dem sie Plätzchen und andere Süßigkeiten aufbewahrten.
Merle schüttelte den Kopf. Sie sah den beiden zu, wie sie sich in der gemütlichen, hellen Küche bewegten. War es nicht seltsam, dass so viele Menschen am liebsten in ihrer Küche hockten? Das war bei allen so, die sie kannte. Möglicherweise kam sie deshalb nicht von Claudio los. Bei ihm spielte sich zwangsläufig fast das ganze Leben in der Küche ab.
»Sollen wir zusammen Tee trinken«, fragte Dorit, »oder wärst du lieber ein bisschen allein?«
»Allein«, sagte Merle. »Wenn ihr mir nicht böse seid.«
»Jetzt fang bloß nicht an zu spinnen«, sagte Bob und warf ihr eine Kusshand zu.
Sie nahmen ihre Tassen und zogen sich zurück. Merle hatte kein schlechtes Gewissen deswegen. Sie selbst würde dasselbe für ihre Freunde tun. Sie musste nachdenken. Und im Augenblick konnte sie das nirgendwo besser als hier.
An Malle Klestof erinnerte Bert sich, sobald er ihn ins Zimmer kommen sah. Die Frau des Erdbeerbauern hatte ihm für das Gespräch wieder das Büro zur Verfügung gestellt. Sie hatte sich in ihrem weit ausgeschnittenen, fast durchsichtigen Sommerkleid aufreizend bewegt. Wahrscheinlich verdrehte sie so manchem Saisonarbeiter den Kopf.
Bert sprang nicht auf sie an. Es war ihre Stimme, die ihn störte, eine Stimme ohne Klang, flach, eindimensional, wie mechanisch. Dass eine so unsinnliche Stimme in einem solchen Körper wohnen konnte, war ein Widerspruch, über den er nachdachte, bis es an der Tür klopfte und dieser Malle eintrat.
Nach den ersten Sätzen wusste Bert wieder, dass er hier das Klatschmaul vom Hof vor sich hatte. Malle Klestof schien all die dunklen Geheimnisse zu kennen, die die Menschen sorgsam zu verbergen trachteten. Er wusste, wer auf wen ein Auge geworfen hatte, wer wem Geld schuldete und wie viel. Er kannte die Familienverhältnisse der Einzelnen, ihre Hoffnungen und ihre tiefsten Ängste.
Seine Informationen gab er nicht ungefragt preis. Er ließ sie sich aus der Nase ziehen, widerstrebend, wie es schien. Aber Bert vermutete, dass er insgeheim danach lechzte. Informiert zu sein bedeutete in seinen Augen vielleicht Anerkennung, ganz sicher jedoch Macht.
Er war ein Jasager, fand
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