Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K LeGuin
Vom Netzwerk:
Stimme. »Die Zeit, da wir frei werden, ist noch nicht gekommen.«
     
    Die Sonne stand am Himmel über den Kronen der höchsten Bäume, aber im Hain hing noch das frostige Grau der Morgendämmerung. Tenar saß da, die Hand auf Erles Hand, das Gesicht nach unten gebeugt. Sie betrachtete den kühlen Tau, der an einem Grashalm herabperlte, wie er in winzigen, feinen Tropfen an ihm entlang glitt und sich in jedem Tropfen die ganze Welt widerspiegelte.
    Jemand sprach ihren Namen. Sie schaute nicht auf.
    »Er ist fort«, sagte sie.
    Der Formgeber kniete sich neben sie. Er berührte Erles Gesicht sanft mit der Hand.
    Er kniete schweigend eine Weile dort nieder. Dann sagte er zu Tenar in ihrer Sprache: »Mylady, ich habe Tehanu gesehen. Sie fliegt golden auf dem anderen Wind.«
    Tenar blickte zu ihm auf. Sein Gesicht war weiß und abgehärmt, aber in seinen Augen war eine Spur von Glanz.
    Sie kämpfte mit sich und sagte schließlich mit rauer Stimme, fast unhörbar: »Heil?«
    Er nickte.
    Sie streichelte Erles Hand, die Hand des Heilers, die feine, geschickte Hand. Ihr kamen die Tränen.
    »Lasst mich eine Weile mit ihm allein sein«, bat sie und begann zu weinen. Sie legte ihre Hände auf sein Gesicht und weinte bitterlich, ganz leise.
     
    Azver ging zu der kleinen Gruppe an der Tür des Hauses. Onyx und Spiel warteten in der Nähe des Gebieters, der benommen und bange bei der Prinzessin stand. Sie kauerte neben Lebannen, die Arme über ihm, ihn beschützend, jedem Zauberer deutlich signalisierend, dass er es ja nicht wagen sollte, auch nur in seine Nähe zu kommen. Ihre Augen loderten. Sie hielt Lebannens kurzen stählernen Dolch blank in der Hand.
    »Ich kam mit ihm zurück«, sagte Brand zu Azver. »Ich habe versucht, bei ihm zu bleiben. Ich war mir des Weges nicht sicher. Sie will mich nicht an ihn heranlassen.«
    » Ganai «, sprach Azver sie auf Kargisch mit ihrem Titel an. »Prinzessin.«
    Ihre Augen blitzten ihn an. »Oh, gedankt sei Atwah-Wuluah, und die Mutter sei für ewig gepriesen!«, rief sie. »Herr Azver! Mach, dass diese Verfluchten-Zauberer verschwinden. Töte sie! Sie haben meinen König getötet!« Sie hielt ihm den Dolch an seiner schlanken stählernen Klinge hin.
    »Nein, Prinzessin. Er ist mit dem Drachen Irian gegangen. Aber dieser Zauberer hier brachte ihn zu uns zurück. Lasst mich ihn ansehen.« Er kniete nieder und drehte Lebannens Gesicht ein wenig, um es besser sehen zu können, und legte die Hand auf seine Brust. »Er ist kalt«, sagte er. »Es war ein beschwerlicher Weg zurück. Nehmt ihn in die Arme, Prinzessin. Haltet ihn warm.«
    »Das habe ich ja versucht«, sagte sie und biss sich auf die Lippe. Sie warf den Dolch auf den Boden und beugte sich über den Bewusstlosen. »Armer König!«, sagte sie leise auf Hardisch. »Lieber, armer König!«
    Azver erhob sich und sagte zum Gebieter: »Ich glaube, er wird sich wieder erholen, Brand. Sie ist im Augenblick viel besser für ihn als wir.«
    Der Gebieter streckte seine große Hand aus und fasste Azver beim Arm. »Nur ruhig jetzt«, sagte er.
    »Der Türwächter«, stieß Azver hervor. Er wurde noch blasser, als er es ohnehin schon war, und ließ den Blick über die Lichtung schweifen.
    »Er ist mit dem Pelner zurückgekommen«, sagte Brand. »Setz dich, Azver.«
    Azver gehorchte ihm und setzte sich auf den Holzklotz, auf dem der alte Verwandler in ihrem Kreis am Nachmittag zuvor gesessen hatte. Es kam ihm vor, als wäre das tausend Jahre her. Die alten Männer waren am Abend wieder zur Schule zurückgegangen ... Und dann hatte die lange Nacht begonnen, die Nacht, die die Steinmauer so nahe gebracht hatte, dass Schlafen bedeutete, dort zu sein, und dort zu sein bedeutete Entsetzen; deshalb hatte keiner geschlafen. Vielleicht keiner auf ganz Rok, auf allen Inseln ... Nur Erle, der sie geführt hatte ... Azver merkte, dass er döste und zitterte.
    Spiel versuchte ihn dazu zu bewegen, ins Winterhaus zu gehen, aber Azver bestand darauf, in der Nähe der Prinzessin zu bleiben, damit er für sie dolmetschen konnte. Und in der Nähe von Tenar, dachte er, ohne es auszusprechen, um sie zu beschützen. Um sie trauern zu lassen. Für Erle aber hatte das Trauern ein Ende. Er hatte seine Trauer an sie weitergegeben. An sie alle. Seine Freude ...
    Der Kräuterkundler kam von der Schule; er regte sich über Azver auf und legte einen Wintermantel über seine Schultern. Er saß immer noch da in einem fiebrigen Halbdämmerzustand, ohne den anderen Beachtung zu

Weitere Kostenlose Bücher