Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
nannte es Tochter, so wie ich. Was bedeutet das? Was bedeutet es, dass Drachen über den Inseln des Westens gesichtet worden sind? Der König schickte nach uns, entsandte ein Schiff nach Gonthafen und bat meine Tochter Tehanu, zu ihm zu kommen und sich bei ihm Rat bezüglich der Drachen zu holen. Die Leute fürchten, dass der alte Vertrag gebrochen wird, dass die Drachen zurückkommen werden, um die Felder und Städte zu versengen, wie sie es taten, bevor Er-reth-Akbe mit Orm-Embar focht. Und jetzt verleugnet eine Seele an der Grenzlinie zwischen Leben und Tod das Band ihres Namens ... Ich verstehe das nicht. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass die Dinge im Begriff sind, sich zu verändern. Alles wandelt sich.«
Es war keine Furcht in seiner Stimme, nur grimmes Frohlocken.
Erle vermochte diese Empfindung nicht zu teilen. Er hatte zu viel verloren und war zu ermattet von seinem Kampf gegen Mächte, die er nicht begreifen, geschweige denn lenken konnte. Aber er ließ den Mut nicht sinken.
»Möge es sich zum Besseren wandeln, Herr«, sagte er.
»So sei es«, erwiderte der alte Mann. »Aber wandeln muss es sich.«
Als die Hitze aus dem Tag wich, kündigte Sperber an, er müsse ins Dorf gehen. Er nahm den Pflaumenkorb und bettete einen Korb mit Eiern darin.
Erle begleitete ihn, und sie unterhielten sich, während sie gingen. Als Erle erfuhr, dass Sperber Obst und Eier und die anderen Erzeugnisse des kleinen Hofes gegen Gerste und Weizenmehl tauschte, dass er das Reisig für den Kamin mühselig droben im Wald zusammenklaubte, dass er, wenn seine Ziegen keine Milch gaben, mit dem Käse vom Vorjahr über die Runden kommen musste, war Erle tief betroffen: Wie konnte es angehen, dass der Erzmagier der Erdsee von der Hand in den Mund lebte? Hielten ihn seine eigenen Leute nicht in Ehren?
Als er mit ihm in das Dorf kam, bemerkte er, wie Frauen ihre Türen zusperrten, als sie den alten Mann nahen sahen. Der Markthändler, der ihm seine Eier und die Pflaumen abnahm, rechnete den Betrag wortlos auf seiner Holztafel aus, mit mürrischer Miene und gesenkten Blickes. Sperber sagte freundlich zu ihm: »Einen guten Tag dann noch, Iddi«, aber er erhielt keine Antwort.
»Mein Herr«, fragte Erle, als sie nach Hause zurückgingen, »wissen diese Leute, wer Ihr seid?«
»Nein«, sagte der Ex-Erzmagier mit einem nüchternen Seitenblick. »Und ja.«
»Aber ...« Erle wusste nicht, wie er seiner Entrüstung Ausdruck verleihen sollte.
»Sie wissen, dass ich über keine Zauberkraft gebiete, dennoch bin ich ihnen nicht ganz geheuer. Sie wissen, dass ich mit einer Fremden zusammenlebe, einem Weib aus Karg. Sie wissen, dass das Mädchen, das wir unsere Tochter heißen, so etwas wie eine Hexe ist, nur schlimmer, weil ihr Antlitz und ihre Hand vom Feuer verbrannt sind und weil sie selbst den Herrn von Re Albi verbrannte oder ihn von der Klippe stieß oder ihn mit dem bösen Blick tötete - ihre Geschichten variieren da.
Sie halten indes das Haus, in dem wir wohnen, in Ehren, weil es das Haus von Aihal und Heleth war, und tote Hexer sind gute Hexer ... Du bist ein Städter, Erle, von einer Insel in Morreds Königreich. Ein Dorf auf Gont ist eine andere Sache.«
»Aber warum bleibt Ihr dann hier, Herr? Der König würde Euch doch gewiss die Euch gebührende Ehre erweisen ...«
»Ich will keine Ehre«, entgegnete der alte Mann mit einer Heftigkeit, die Erle verstummen ließ.
Sie gingen weiter. Erst als sie zu dem Haus am Rande der Felsen kamen, sprach er wieder. »Dies ist mein Horst«, sagte er.
Sie tranken zum Abendessen ein Glas Rotwein und ein weiteres draußen, wo sie nach dem Essen Platz nahmen, um den Sonnenuntergang zu betrachten. Sie redeten nicht viel. Die Furcht vor der Nacht, vor dem Traum, ergriff langsam wieder von Erle Besitz.
»Ich bin kein Heiler«, sagte sein Gastgeber, »aber vielleicht kann ich das tun, was der Meister der Kräuterkunde tat, damit du Schlaf findest.«
Erle schaute ihn fragend an.
»Ich habe darüber nachgedacht, und mir scheint, dass es möglicherweise gar kein Zauberspruch war, der dich von jenem Hügelhang fern hielt, sondern bloß die Berührung einer lebendigen Hand. Wenn du möchtest, können wir's versuchen.«
Erle erhob Einwände, aber Sperber ließ sich nicht beirren. »Ich liege ohnehin meistens die halbe Nacht wach.« Und so lag der Gast denn in jener Nacht in dem niedrigen Bett in der hinteren Ecke des großen Zimmers, und der Gastgeber saß an seiner Seite, beobachtete das Feuer
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